162 Das öffentliche Sachenrecht.
welchen das Reichsgericht sein Ansehen eingesetzt hat: es soll’sich
handeln um vertragsmäßige Begründung eines solchen
Rechts. Der Vertrag käme zustande zwischen der Stadt als
Straßenherrin und dem Anlieger. In der Herrichtung der Straße
liegt die Vertragsofferte, in der Errichtung des Gebäudes. . die
Akzeptation. Es kann natürlich auch umgekehrt vor sich gehen.
Auf alle Fälle ist auch dieser Vertrag wieder ein höchst still-
schweigender in dem Sinne, daß in Tat und Wahrheit niemand von
den Beteiligten an einen solchen Vertrag denkt *.
# Das Reichsgericht hat sich zunächst mit diesem angeblichen Vertrage
befaßt vom Standpunkte des Gemeinen Rechts aus und ihn abgelehnt. R.G.
16. Nov. 1880 (Entsch. UI S. 171): Der Kläger hatte die Frage zu beantworten
gegeben, „ob ein entsprechender stillschweigender Vertrag zwischen der Gemeinde
und den Anliegern einerseits durch die Herstellung der Straße und andererseits
durch die Bebauung ihrer Grundstücke zustande gekommen sei“. Darauf ant-
wortete das Gericht: „Die Frage ist zu verneinen, weil diese Erwägung nicht zu
der Annahme berechtigt, daß die Gemeinde eine privatrechtliche Verpflichtung
habe auf sich nehmen wollen.“ Das ist in der Tat von einleuchtender Vernünftig-
keit; diese gesunde Willensauslegung muß auch, sollte man meinen, überall gelten,
wo es lediglich auf die Willensauslegung ankommt. So mit Recht v. Blume,
Recht d. Anlieger S. 106. Das Reichsgericht aber hat sich dann für Sachen aus
dem Gebiete des Französischen und des Preußischen Rechts anders be-
stimmen lassen. Bezüglich des ersteren wurden ihm maßgebend die Ansichten
der französischen Zivilisten. So R.G. 13. Febr. 1883 (Entsch. X S. 271), welches
sich für die Annahme eines servitutbegründenden Vertrags auf Demolombe XII
n. 698 ff, Aubry u. Rau III S.69£., Laurent VII n. 130 ff. beruft. Die fran-
zösischen Publizisten sind freilich anderer Meinung; vgl. Aucoc, Conferences
IO n.1123: es handelt sich um kein „droit proprement dit“. Aber diese hat man
nicht gehört, obwohl sie doch in erster Linie zuständig wären. Vgl. auch Theorie
d. franz. Verw.R. S. 927 ff, Bezüglich des Gebiets des Preußischen Rechts hat
R.G. 7. März 1882 (Entsch. VII S. 218) Stellung genommen in gleichem Sinne.
Es wird dem Anlieger Entschädigung zuerkannt nach A. L.R. Einl. 8 75 auf Grund
der vom Obertribunal befolgten Rechtsprechung, wonach „die ungeschmälerte Be-
nutzung der Straßen zu den Rechten des Eigentums an den an den Straßen be-
legenen Häusern gehört“. Nur ergänzt und verbessert das Reichsgericht diese Lehre
des Obertribunals durch die Konstruktion der französischen Zivilisten Laurent
und Demolombe, auf die es sich ausdrücklich beruft (S. 216): nicht zu den
„Rechten des Eigentums an dem an der Straße gelegenen Haus“ soll das ohne
weiteres gehören, sondern eine „durch stillschweigenden Vertrag begründete
Servitut“ muß es sein.
, Dar an hat das Reichsgericht seitdem festzuhalten gesucht trotz der Schwierig-
keiten, die der Vertragsabschluß, auch abgesehen von seiner tatsächlichen Unwahr-
heit, mebr und mehr aufwies. Vor allem konnte ja nicht übersehen werden, daß
bei gemeindlichen Straßen zum Abschluß eines Vertrags, der Rechte am Gemeinde-
grundeigentum bestellt, also eine Veräußerung bedeutet, gewisse Formen zu er-
füllen sind; namentlich müßte der richtige Vertreter der Gemeinde beteiligt sein,