230 Das öffentliche Sachenrecht.
Vor allem der Betrieb der öffentlichen Eisenbahnen ist es,
von dem man die mannigfaltigsten Störungen dieser Art wehrlos
hinnehmen muß. Die Entschädigungsfrage bleibt allein übrig "?.
unterstand. Hier wäre doch die Annahme einer „polizeilichen Verfügung“ sehr
am Platze gewesen; aber dieser terminus technicus gibt eben keinen sicheren
Maßstab.
ı2 Man bestrebt sich ja dazwischen, auch hier mit B.G.B. $ 906 auszukommen.
R.G. 26. Juni 1910 (Eger, Eisenb.Entsch. XXVI S. 432): „Die gewöhnlich von
einem solchen Eisenbahnbetriebe (Straßenbahn) ausgehenden Einwirkungen werden
die benachbarten Grundeigentümer als unvermeidlich sich gefallen lassen müssen.“
Das beansprucht eine Anwendung des $ 906 B.G.B. zu sein. Dagegen R.G.
30. März 1904 (Entsch. LVII S. 225): Das Geräusch des fahrenden Tram muß
man sich gefallen lassen, nicht aber das einer dazu gehörigen „Wagenhinter-
stellungshalle“. Hier war allerdings Bayr. Ausf.Ges. Art. 80 anzuwenden; vgl.
unten Note 32,
Meist sucht man die Sache auch bei solchen Störungen mit den bekannten
unbeholfenen Wendungen öffentlichrechtlich zu erklären, auch wenn man es nicht
so nennt. So das oben Note 10 erwähnte Urteil R.G. 20. Sept. 1882 (Entsch. VII
S. 267): Es handelte sich um eine Klage des Angrenzers wegen Funkenwurfes
durch die Lokomotive; die Eisenbahn hat durch die Konzession das Recht zu
solcher Beeinträchtigung erhalten. Ebenso in einem „Immissionsfall“ O.L.G.
Karlsruhe 6. Mai 1904 (Eger, Eisenb.Entsch, XXI S. 252): „Die Konzessions-,
erteilung begründet für den Angrenzer Eigentumsbeschränkungen im öffentlichen
Interesse“. Gelegentlich der Klage eines Berliner Hausbesitzers gegen die Hoch-
bahn auf Unterlassung ihres übermäßigen Geräusches hat das R.G. 12. Okt. 1904
(Entsch. LIX S. 70) die Lehre von der polizeilichen Verfügung noch einmal ver-
wertet: „Die polizeiliche Genehmigung einer im Interesse des öffentlichen Ver-
kehrs notwendigen oder zweckmäßigen Anlage hat die Bedeutung einer polizei-
lichen Verfügung“. „Eine solche Verfügung richtet sich nicht bloß gegen den Her-
steller der Anlage, sondern gegen jedermann“ (S. 72). Diese seltsame Eigen-
schaft einer polizeilichen Verfügung ist aber hier auch einigermaßen zu begründen
versucht worden (S. 71): „Die Kleinbahn steht unter staatlicher Aufsicht... Der
Unternehmer hat den Betrieb olıne Unterbrechung zu führen, widrigenfalls die
Genehmigung zurückgenommen werden kann... er ist also in der Freiheit, über
das Unternehmen und den Betrieb zu verfügen, durch den Staat wesentlich be-
schränkt, darf insbesondere von dem einmal festgesetzten und genehmigten Plane
auch in Einzelheiten nicht abweichen ... daraus folgt wiederum, daß auch Dritte,
die durch den Betrieb in der Benutzung ihrer Grundstücke wesentlich beeinträch-
tigt zu sein glauben, gegen den Unternehmer Änderungen der Bahnanlage und
des Betriebes im ordentlichen Rechtswege nicht erzwingen können“. Das wird
also ganz richtig nicht als eine bloße Zuständigkeitsregel aufgefaßt, sondern
als sachliche Rechtsverneinung; darin besteht ja eben die Wirkung „gegen jeder-
mann“. Nun steht es aber mit polizeilichen Anordnungen doch so, daß sie — so-
fern das Gesetz nicht ausdrücklich Abweichendes bestimmt — stets mit Vorbehalt
der Rechte Dritter ergehen (vgl. oben Bd.I S. 231 u. 247). Wenn dem Apotheker
nach dem Deutschen Arzneibuch polizeilich vorgeschrieben ist, ein Arznei-
mittel zu bereiten, das einen sehr übeln Geruch verbreitet, so kann er auch nicht
davon absehen; aber daraus folgt nicht, daß der Nachbar sich das gefallen