Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.2. Deutsches Verwaltungsrecht. (2)

$ 45, Die Dienstgewalt. 325 
In Wirklichkeit war es aber doch nur eine verkehrte Welt, 
die man sich auf diese Weise zurechtgedacht hatte. Eine lebens- 
fähige Verwaltung konnte damit nie zustande kommen. Man hat 
sich tatsächlich nie an diese Grundsätze gehalten®®,. Die neuere 
Lehre ist denn auch bestrebt gewesen, demgegenüber das 
Prüfungsrecht des Untergebenen in vernünftige 
Schranken zurückzudrängen. Sie betont seine Begrenzung 
auf das „Formelle“, auf die „allgemeine Zuständigkeit“ des Vor- 
gesetzten zu der Verfügung und entsprechend die „allgemeine 
Zuständigkeit“ des Untergebenen zu der befohlenen Handlung. 
Wir haben bei Entwicklung des Umfangs der dienstlichen Gehor- 
samspflicht (oben n. 2) mehrfach auf Übereinstimmendes an dieser 
Lehre uns berufen können; dabei konnte aber auch ein bedeut- 
samer Gegensatz nicht übersehen werden, der jetzt voll zum Aus- 
druck kommen muß. Er beruht darauf, daß man dort im wesent- 
lichen doch noch nicht von dem alten Standpunkt losgekommen ist. 
Man hat sich durch jene Einschränkung nur von den ärgsten 
Unmöglichkeiten frei gemacht. Aber es bleibt dabei, daß das 
ganze Prüfungsrecht unter dem Gesichtspunkte der Wirkung nach 
und die von Gneist so sehr gefürchtete „Parteiregierung“. Diese Auffassung mit 
ihren Folgerungen datiert weit zurück. Erst noch maßvoll, sofern die Sache 
wesentlich auf ein „Recht der Gegenvorstellung“ hinausläuft: Seuffert, Verh. 
des Staates und der Diener des Staates $ 57; v. d. Becke, Von Staatsämtern 
$83; Goenner, Der Staatsdienst $ 78. Später aber mit voller Entschiedenheit: 
Perthes, Der Staatsdienst S. 126: „Keine Behörde darf das bestehende Recht 
durch eine ihm widersprechende Anordnung aufheben. Geschieht es dennoch, so 
darf kein Beamter einer solchen Anordnung Folge leisten.“ So jetzt noch 
Loening, V.R. S. 122 Note 5. G. Meyer, St.R. $ 146, glaubt einen vernünf- 
tigen Mittelweg gehen zu können, indem er den Beamten nur „in allen zweifel- 
haften Fällen“ an den Befehl bindet; dagegen soll er den Gehorsam verweigern 
bei „Verfügungen, welche dem klaren Wortlaut eines Gesetzes widersprechen“. 
Aber wann ist er klar? Und wer entscheidet, was der Wortlaut des Gesetzes 
besage, der Dienstbefehl oder die Meinung des Untergebenen? 
#8 Perthes a. a. O. bemerkt darum selbst: Die Vorgesetzten brauchten 
sich aber durchaus nicht jede Gehorsamsverweigerung wegen ungesetzlicher An- 
ordnung gefallen zu lassen, sonst „würde Regierung unmöglich sein“. Also 
entscheiden schließlich doch sie? Die Lösung des Widerspruchs, in welchen er 
gerät, erhofft er vom „guten Geiste des Beamtenstandes“. Dann braucht man 
allerdings keine juristischen Formeln und keine Juristen. — Daß der Untergebene 
tatsächlich zumeist gar nicht in der Lage ist, die Anordnung, Urteil oder Ver- 
waltungsakt, die er vollziehen soll, auf ihre Richtigkeit nachzuprüfen, weil ihm 
das Material fehlt, wurde schon oben Bd. IS. 315 hervorgehoben. Es wäre reiner 
Zufall, wenn er da einmal klar sehen könnte, und darauf baut man doch kein 
großes Rechtsinstitut!
	        
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