536 Das Recht der besonderen Schuldverhältnisse.
nahe lag, daß man bei der Schaffung des Gesetzes daran dachte,
wurde die Entschädigung besonders vorgesehen, manchmal auch
wohl für sich allein, wenn man gerade aus anderem Anlaß dazu
kam. So ist nach und nach ein reicher Vorrat von Sonder-
bestimmungen zusammengekommen, die ihren Zweck erfüllen,
allerlei Abweichungen unter sich aufweisen und irgendwelchen
Zusammenhang miteinander kaum betonen ®”,
Planlos ausgestreut über alle Zweige der Verwaltung, liefern
sie doch einen festen Bestand von Rechtsverwirklichungen unserer
Billigkeitsidee. Alles andere ist bestritten in seinem Umfang, zum
Teil auch bestritten in seinen Grundlagen oder versteckt sich in
den unangemessenen Formen des bürgerlichen Rechts. Dieses
bunte Konglomerat ist überdies, vermöge der Herrschaft der Einzel-
staaten über ihr öffentliches Recht und was dazu gehört, nicht
allenthalben in der gleichen Weise zusammengesetzt; das Partikular-
recht bringt auch noch seine Mannigfaltigkeiten hinein.
Vorsichtige Leute entgehen hier allen weiteren Schwierigkeiten
durch den Spruch: Ein allgemeiner Grundsatz läßt sich nicht auf-
stellen, und behalten die Teile in ihrer Hand. Es ist aber wieder
die gleiche Lage wie die, welche sich seinerzeit der Wissenschaft
des deutschen Privatrechts überhaupt darbot. Indem sie, ohne
»" Enteignung, Materialienentnahme, Rayonservituten, Manöverschäden,
Quartierleistungen, Pferdeaushebung, Zeugengebühren, Schöffen- und Geschworenen-
entschädigung — es wäre sehr vielerlei aufzuzählen, was hierher gehört.
So wertvoll diese Fürsorge der gesetzlichen Einzelbestimmungen sein mag,
wird es doch nicht angehen, uns ganz nur auf sie zu verweisen. Anschütz,
Ersatzansprüche S. 56, entsprechend seiner Tendenz, die öffentlichrechtliche Ent-
schädigung möglichst einzuschränken (vgl. oben Note 14), möchte es wieder als
eine Folgerichtigkeit der „modernen Entwicklung des öffentlichen Rechts“ in
Anspruch nehmen, daß solche Ersatzansprüche nur soweit in Frage kommen
dürften, als sie durch ein besonderes Gesetz bewilligt wären. Hat man nicht
durch eine „feingegliederte Verwaltungsrechtsordnung“ Recht und Pflicht der
Verwaltung genau vorgesehen? „Fordert nicht die Spezialisierung der administra-
tiven Eingriffsrechte auf der andern Seite eine Spezialisierung der Voraussetzungen
und Fälle der öffentlichrechtlichen Entschädigung?“ Diese zwingende „Architek-
tonik des heutigen Staatswesens“, wie es hier genannt wird, dürfte sich aber den
Bedürfnissen des Rechtslebens gegenüber eher als eine unzulängliche Schablone
erweisen. Niemals werden die wirklich vorkommenden „administrativen Eingriffe“
ganz spezialisiert werden können, Niemals werden Sondergesetze die Fälle er-
schöpfen, in welchen die Billigkeit Entschädigung verlangt. Und gar jetzt schon
behaupten zu wollen, diese Gesetze hätten genug getan, hieße doch die Augen
zudrücken vor schreienden Ungerechtigkeiten, welche das Zufallsmäßige ihres
Eingreifens daneben erst recht fühlbar machen muß. Ehre dem Richter, der die
Lücken durch noch so gewagte Konstruktionen ausfüllt!