542 Das Recht der besonderen Schuldverhältnisse.
ist, insbesondere der Staat, haftet, wenn eine Schadenszufügung vorliegt, „die sich
bei billiger Rücksichtnahme auf die Interessen der Mitmenschen (Mitmenschen
des Staates!) hätte vermeiden lassen“. R.G. 22. März 1809 (Reger, XXX S. 297)
betont das grundlegende Vertrauensverhältnis: die Straße war mit einer Sand-
schicht bedeckt worden, ausbesserungshalber; ein Radfahrer kommt darin zu Falle;
er durfte „die Landstraße ohne weiteres als hindernisfrei ansprechen“. Also
Entschädigung. Vgl. auch R.G. 26. Febr. 1897 (Entsch. XXXVII S, 220): Ent-
schädigung für Beinbruch in Wasserdurchlaßöffnung. R.G. 18. Mai 1903 (Entsch.
LV S. 24): Geländeloser Steg, von welchem ein alkoholischer Bauer abstürzt;
Entschädigung. R.G. 13. Febr. 1905 (Preuß. Verw.Bl. XXVII S. 208): Eis am
Gemeindebrunnen, Verletzung durch Sturz; Stadt war verpflichtet, die Gefahr zu
beseitigen und haftet, „ohne daß es auf die Feststellung ankommt, welchen
einzelnen Vertreter der Stadtgemeinde der Vorwurf des Verschuldens trifft“.
R.G. 8. Nov. 1909 (Eger, Eisenb.Entsch. XXVI S. 397): Glatter Gang im
Regierungsgebäude; Fiskus haftet für den Unfall. „Ganz dahingestellt kann es
unter diesen Umständen bleiben, welche Person durch ihre Unterlassung den
Unfall verschuldet hat“. Das wird bei dieser Entschädigungspflicht des Staates
immer so gemacht, weil es eben in Wahrheit auf das Verschulden einer solchen
Person gar nicht ankommt.
Die besondere Entschädigungspflicht des Staates für Sachen, die er in seinen
Gewahrsam genommen hat, wird natürlich wieder auf bürgerliches Recht
zurückgeführt, auch wo er dem bürgerlichen Recht gar nicht unterläge. Das
geschieht mit vollem Bewußtsein in R.G. 14. Febr. 1901 (Entsch. XLVIO S. 255):
Ein eingeschriebener Brief aus dem Ausland war wegen Übergewichtes von der
Post an die Zollverwaltung abgegeben worden und dort weggekommen. Schadens-
ersatzklage gegen den Zollfiskus. Transportvertrag gilt für ihn nicht, ebenso-
wenig ist der Fall „bloß nach Grundsätzen der außerkontraktlichen Schadens-
haftung” zu beurteilen; „es gilt hier re contrabitur“. Dem steht nicht im Wege,
daß diese obligatio quasi ex contractu in den Quellen des gemeinen Rechts nicht
besonders erwähnt ist; denn „für neue öffentlichrechtliche Verhältnisse,
die jenen unbekannt sind, müssen die privatrechtlichen Konsequenzen nach
Analogie der in jenen geregelten Tatbestände gezogen werden“. Das sind be-
kannte Redewendungen: Eigentlich sollte die Sache öffentlichrechtlich sein; aber
da man den von der Gerechtigkeit geforderten Erfolg auf diesem Boden nicht
erreichen kann, wird sie ins Privatrechtliche hinübergequält. R.G. 22. April 1902
(Entsch. LI S. 219): Eine Gutskarte war gelegentlich des Prozesses dem Gericht
übergeben worden und dort verschwunden. Schadensersatzklage ist „nur haltbar,
wenn durch Hingabe und Empfang unmittelbar zwischen Kläger und Staat ein
derartiges Rechtsverhältnis entstanden ist, daß auf Grund desselben der Staat
nach privatrechtlichen Grundsätzen dem Kläger für Zurückgabe und eintretenden-
falls für Verlust haftbar ist“. Hier ist nun freilich alles Handlung der Staats-
gewalt, auch Hingabe und Rückgabe. Aber: „Indem der Kläger sich zu jenem
Zwecke dem Staate gegenüber des Besitzes und der Aufsicht über die Karte ent-
äußerte, erwuchs hieraus für den Staat die nach den Grundsätzen des Privat-
rechts zu beurteilende Verpflichtung, über die Karte, die er in seinen
Gewahrsam genommen hatte, auch die erforderliche Obhut zu
führen.“ Was für eine Art von Verpflichtung das sei, ist nicht genau zu sagen;
das Urteil spricht wieder von „vertragsartiger“, „quasikontraktlicher“. Warum