566 Das Recht der besonderen Schuldverhältnisse.
Es gibt aber gewisse Stücke des Gemeingebrauchs, deren Vor-
teile für den Bestand des Wohngebäudes selber von wesent-
licher Bedeutung sind, so daß es für seine eigene Benutzbarkeit
darauf angewiesen und eingerichtet ist: Zugänglichkeit durch die
Haustür, Licht und Luft durch die Fenster, Wasserablauf, alles
mit den notwendigen und üblichen Vorsprüngen. Wer an diesen
Zustand rührt, greift das Haus selbst an in seinem rechtlich ge-
ordneten und geschützten Dasein, verletzt den Rechtskreis des
Eigentümers. Das gilt, solange die Straße besteht, gegenüber jeder-
mann, einzelnen Mitbürgern oder der Verwaltung selbst. Aller-
dings: die Verwaltung kann, wenn das öffentliche Wohl es verlangt,
die Straße verändern oder beseitigen. Dann muß auch der Eigen-
tümer solchem Eingriff sich fügen; er ist nicht etwa in seinen
Rechten verletzt, sondern seine Rechte weichen. Aber gerade das
ist der Fall des besonderen Opfers, das für das Gemeinwohl
dem Einzelnen zugemutet wird. Die Billigkeitsforderung greift
Platz #,
Wie sie befriedigt wird, durch A.L.R. Einl. $ 75, durch Ge-
wohnheitsrecht, durch einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, durch
rechtsähnliche Anwendung der Enteignungsentschädigung, das ist
dann die zweite Frage, mit deren Lösung die Rechtshandhabung
fertig werden kann und muß ohne alle Zuhilfenahme zivilrecht-
licher Konstruktionen, für welche hier kein Platz ist ®®.
(vgl. oben $ 37 II n. 2); dann ist nach dem hier oben IH Ausgeführten von Ent-
schädigung ohnedies nicht die Rede.
” Wenn die Rechtsprechung sich so viel Mühe gegeben hat, die Ent-
schädigung anzuknüpfen an eine zugunsten des Wohnhauses begründete Servitut
(vgl. oben $ 37 Note 43 u. 44), so hatte das insofern einen guten Sinn, als da-
durch eine feste Abgrenzung gewonnen wurde gegenüber allen anderen Arten von
Benutzungen der öffentlichen Straße, deren Entziehung einen Entschädigungs-
anspruch nicht begründen soll. Bei genauerer Betrachtung der besonderen Art
des dem Hause unmittelbar dienenden Gemeingebrauchs, der sich mit dessen
Werte selbst verbindet, erhalten wir aber diese Abgrenzung, ohne derartige recht-
liche Unmöglichkeiten zu Hilfe zu rufen. — Das Odium der städtischen Haus-
besitzer (Anschütz, Ersatzanspr. $. 112) scheint mir kein genügender Gegen-
grund zu sein; ebensowenig der Umstand, daß A. L.R. II, 15 $ 7 den „freien
Gebrauch“ der Straße einem jeden nur „gestattet“, also wie Anschütz S. 109
Note 117 und Seite 110 Note 120 hervorhebt, durch „positiven Ausspruch“ ein
Recht auf den Gemeingebrauch verneint: es spricht ja auch nicht von Gemein-
gebrauch überhaupt, sondern nur vom „Reisen und Fortbewegen von Sachen“.
”* Ausdrückliche Bestimmungen im Sinne der hier entwickelten Billigkeits-
forderung geben neuerdings: Bad. Ortsstraßenges. v. 6. Juli 1896 Art. 29;
Els.-Lothr. A.G. z. B.G.B. v. 17. April 1899 $ 40a Abs. 2; Sächs. Bauges. V.