Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.2. Deutsches Verwaltungsrecht. (2)

638 Die rechtsfähigen Verwaltungen. 
hängen. Man wird in die Gemeinde hineingeboren wie in den 
Staat. Auch die Gemeinde hat ihr Volk, wie der Staat, das 
Gemeindevolk®. Daraus ergibt sich von selbst noch ein weiterer 
Gegensatz zu der öffentlichen Genossenschaft. Bei dieser sind alle 
Mitglieder grundsätzlich gleichgeartet, was Mitgliedschaftsrechte 
anlangt. Bei einem Volke dagegen ist es notwendig, eine Aus- 
wahl zu treffen der Befähigten und Berufenen zur Ausübung 
solcher Rechte für die übrigen mit. So erheben sich aus der 
Masse der Staatsangehörigen die Staatsbürger und ähnlich dann 
aus der Masse der Gemeindeangehörigen die Gemeindebürger. 
An diesen wird cs nun aber auch sichtbar, daß der Staat die Ge- 
meinden ansieht als einen wesentlichen Unterbau seiner eigenen 
Machtentwicklung (vgl. hier unten n. 2); es werden politische 
Rechte von den Gemeindebürgern ausgeübt und die Folge sind 
Forderungen, die für gewöhnlich im Verwaltungsrechte nicht in 
Betracht kommen, vor allem, daß Voraussetzung für die Fähigkeit 
zum Gemeindebürger ist die Staatsangehörigkeit®. 
8 Nur als diese fließende, natürlich sich erneuernde Menschengemeinschaft 
wird das Volk recht verstanden als die geschichtliche Größe, die es ist. 
Rousseaus Volk als Kollektivname für die „associes“ (contr. soc. I c. VI in f.) 
und Jellineks Volk, das „eine Genossenschaft bildet“, zu welcher alle Indivi- 
duen verbunden sind (Allg. St.L. S.408), verleugnen gleichmäßig diese Hauptsache. 
Hier muß streng der Abstand gewahrt werden. Dieser nämliche Volksbegriff 
kommt zur Verwertung nicht bloß bei der Zugehörigkeit zum Staat, sondern 
auch beim Reich, bei der Kirche (Volkskirche im Gegensatz zu der vereins- 
mäßigen Religionsgesellschaft, Sekte), sodann bei der Gemeinde und den ihr 
gleichstehenden „oberen Kommunalverbänden“.. . 
® Die Landesgesetzgebung hat in neuerer Zeit vielfach die Reichsangehörig- 
keit als gleichwertig an die Stelle der Staatsangehörigkeit treten lassen. Das 
steht in ihrer freien Wahl. So Bad. Gem.Ord. v. 18. Okt. 1810 $ 10; ebenso 
Bad. Städte-Ord. v. 18. Okt. 1910 8 7. Ältere Gesetze bestehen noch auf der 
Staatsangehörigkeit. So Bayr. Gem.Ord. v. 29. April 1869 Art. 11. In Preußen 
ergibt sich danach ein Unterschied zwischen der Städte-Ord. v. 30. Mai 1859 $5 
(„jeder selbständige Preuße“) und der Landgem.Ord. v. 3. Juli 1891 $ 41 („An- 
gehöriger des Deutschen Reichs“). Darüber die treffenden Bemerkungen bei 
Halbey, Preuß. Gem.Verf. S. 468. 
Die ältere Gemeindeverfassung schied die Bevölkerung nach Klassen, oft 
in mehreren Stufen übereinander. Die Namen „Bürger“ und „Schutzverwandte 
bezeichnen vor allem die Gegensätze. Die höhere Stufe ist ausgezeichnet durch 
allerlei Vorrechte wirtschaftlicher und sozialer Natur. Das Recht auf Anteil am 
politischen Gemeinwesen hängt mit daran, ist aber keineswegs die Hauptsache; 
Gierke, Genossensch.R. I S. 719. Preuß. Städte-Ord. v. 19. Nov. 1806 be- 
zeichnet die Übergangszeit. $ 5: „Die Einwohner jeder Stadt bestehen nur auf 
zwei Klassen, aus Bürgern und aus Schutzverwandten“. $ 16: „Der Unterschied 
zwischen Groß- und Kleinbürgern und jede ähnliche Abteilung der Bürger IN
	        
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