$ 61. Recht der Staatsaufsicht. 709
Dieser innere Grund der Aufsicht wirkt aber nur zugunsten
des Gemeinwesens, bei dem allein die Fülle aller öffentlichen Ver-
waltung des Gebietes ihren einheitlichen Mittelpunkt findet, des
Staates. Daher wir ihre Eigenart gegenüber dem, was sich sonst
noch Aufsicht nennt, genügend zum Ausdruck bringen, wenn wir
sie bezeichnen als die Staatsaufsicht schlechthin®.
Sie ist nicht polizeilicher Art, bloß abwehrend also, sondern
wie bei Dienstpflicht und Verleihung auf die Ersprießlichkeit der
Verwaltung gerichtet, die hier geführt wird. Insofern wird die
Aufsicht in der vollkommensten Weise dann verwirklicht erscheinen,
wenn sie die ganze Lebensgestaltung und Lebenstätigkeit des Ver-
waltungskörpers restlos erfaßt und unter der Leitung des Staates
halt. Seine Verfassung liefert dann diesem nur Mittel und Werk-
zeuge, durch die er sich betätigt, ohne irgendwelcher Selbständig-
keit dabei zu begegnen. Diese rechtliche Form der Aufsicht ent-
sprach der Geistesart des Polizeistaates. Man bezeichnete sie mit
einer nicht unpassenden Entlehnung aus dem bürgerlichen Familien-
rechte als eine Bevormundung durch den Staat. Demgegenüber
übertragenen Wirkungskreis der Gemeinde bedeutet — und „diese nicht als selb-
ständige außerhalb der Reichskompetenz wirksame Staatswesen erscheinen” —
was im Verhältnisse zwischen Staat und Selbstverwaltungskörper kein Seiten-
stück hat.
Diesen sachlichen Zusammenhang als Grundlage der Aufsicht betont auch
Halbey, Gem.Verf. u. Verw. S. 3; ebenso Schoen, Kom.Verb. S.9; Blodig,
Selbstverw. S. 47. . -
% So Bayr. Gem.Ord. v. 29. April 1869 $$ 154 ff.; Württ. Bez.Ord. v. 28. Juli
1906 Art. 41 u. 88; Bad. Wasserges. v. 12. April 1913 $ 70. Wenn wir diese Be-
zeichnung darauf gründen, daß nur der Staat diese Art von Aufsicht hat, so steht
damit nicht in Widerspruch die Aufsicht der Gemeindebehörden über die Kranken-
kassen (R.Vers.Ord. $ 377) oder die Innungen (Gew.O. $ 96). Das ist übertragener
Wirkungskreis, also doch Staatsangelegenheit: Gierke, Gen.Theorie S. 641 Notel:
„Stufe der staatlichen Aufsicht“. — Sehr gebräuchlich ist der Ausdruck „Ober-
aufsicht“ oder „höchste Aufsicht“. Der Name stammt von dem alten jus supremae
inspectionis, das aber auf alles sich bezieht, was im Staate vorgeht: Pütter,
Instit. $ 216; Klüber, St. u. Bd.R. $ 358. Diese allgemeine „aufsehende Gewalt
ist jetzt noch in der Staatsgewalt enthalten. Der Name „Oberaufsicht” ist aber
gerade deshalb nicht geeignet, das besondere Verhältnis zu bezeichnen, mit welchem
wir hier zu tun haben, — Ebenso veraltet sind die Ausdrücke „Gemeindetutel“,
„Gemeindekuratel“, die übrigens noch einen besonderen politischen Beigeschmack
haben; vgl. folgende Note. Klein, Landgem.Ord. S. 376, möchte das Wort Staats-
aufsicht durch „Körperschaftshoheit“ ersetzen, weil ersteres nicht erschöpfend
genug charakterisiere. Vgl. auch Gierke, Gen.Theorie S. 641 u. 642. Aber
„Körperschaft“ wäre hier zu eng, weil auch die rechtsfähigen Anstalten herein-
gehören, und „Hoheit“ zu verschwommen. — Den Ausdruck „Organaufsicht“ emp-
fiehlt Schoenborn, Oberaufsichtsrecht 8. 24.