Full text: Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft. Band 6.2. Deutsches Verwaltungsrecht. (2)

710 Die rechtsfähigen Verwaltungen. 
erhob sich im Namen der wichtigsten Arten rechtsfähiger Ver- 
waltung, im Namen der Gemeinden, der Ruf nach Selbst- 
verwaltung. Es war ein volkstümliches Schlagwort, das als 
solehes nicht anknüpfen konnte an den wissenschaftlichen. Begriff 
der juristischen Person, sondern, wofür man sich erwärnte, das 
war die größere Selbständigkeit der Menschen, die an ihr be- 
teiligt sind, ‘der Gemeindeglieder und ihrer Auserwählten. Der 
Forderung wird genügt durch Ausdehnung des Wirkungs- 
kreises dieser Menschen, der Zuständigkeiten des Selbst- 
verwaltungskörpers, durch den sie wirken, einerseits und ihres 
Anteils an ihm andererseits. Vor allem aber, und das erschien 
als das Erste und Notwendigste, durch Einschränkung der 
Staatsaufsicht; gegen diese richtet sich die Spitze des Schlag- 
wortes?®. 
Die Anwendung der gleichen Grundsätze auf die Öffent- 
liche Genossenschaft ergab sich von selbst. Bei der rechts- 
fähigen öffentlichen Anstalt, die ja keine Mitglieder hat, 
kann freilich von einer Selbstverwaltung in diesem Sinne nicht die 
Rede sein‘. Wenn im Zusammenhange dieser Bewegung eine Be- 
schränkung der Staatsaufsicht auch hier gefordert wurde, so konnte 
es bei Staatsanstalten mit juristischer Persönlichkeit nur die Be- 
deutung haben, durch größere Selbständigkeit ihrer Vertretungs- 
beamten diese Persönlichkeit stärker zu betonen; wo dann nicht 
der Staat, sondern eine Gemeinde das Muttergemeinwesen ist, wird 
dadurch zugleich der Einfluß dieser gestärkt und dadurch der 
ihrer Mitglieder, mittelbar also doch wieder die Selbstverwaltung. 
Dem entspricht die Gestalt, in welcher zurzeit das Staals- 
aufsichtsrecht verwirklicht ist. Sie unterscheidet sich scharf von 
. °L. Stein, Verw.Lehre I, 2 S. 123 f.; Leidig, Preuß. Stadtr. S. 49. 
Gierke, Gen.R. I 8. 763: „Damit aber hier (bei der Gemeinde) die Selbst- 
verwaltung zur Wahrheit werde, muß die Mitverwaltung des Staates ver- 
schwinden. An Stelle der in den wichtigsten Beziehungen fortbestehenden staat- 
lichen Bevormundung muß eine bloße Aufsicht treten“. Auch die Aufsicht 
freilich wird in den Formen, deren sie sich bedient und auf die es uns Juristen 
Ja wesentlich aukommt, ausgeprägte Mitverwaltung; vgl. unten II n. 1 ” 
vormundung nennt man es nur, wenn diese Mitverwaltung übertrieben wird, 80 
daß die Gemeinde samt ihrer Vertretung wie ein Unmündiger gegängelt werden Fr 
. ...* Vgl. oben 8. 598 u. 642. Auch bei der öffentlichen Genossenschaft ist der 
Ausdruck „Selbstverwaltung“ im gewöhnlichen Leben nicht gebräuchlich geworden. 
Das kommt daher, daß sie zwar auch Mitglieder hat, aber deren freiere it 
kaum von politischer Bedeutung ist wie bei der Gemeinde. Selbstverwaltung II 
aber von Haus aus ein politisches Schlagwort.
	        
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