$ 35. Das öffentliche Eigentum; Begriff und Umfang. 81
Mit dieser Auffassung von der öffentlichen Sache ist man seiner-
zeit ausgekommen. Es gibt hier keine ewigen Wahrheiten.
(a. 2.0. 8.8). Daß es auch ein richtiges öffentliches Eigentum ‚geben könne, da-
von hat man hier noch keine Ahnung.
In der Literatur und Rechtsprechung, welche die Gedanken Jherings und
Kellers nun weiterspinnen, wird zwar der Name „öffentliches Eigentum“ gern
gebraucht, um jenes „reine Hoheitsrecht“ zu bezeichnen, das dem Staate an den
öffentlichen Sachen zusteht. Allein dieses Eigentum ist kein Eigentum und kann
keines sein: aus dem durchschlagenden Grunde, daß der Staat, der eigentliche Staat,
um den es sich bei einem solchen Hoheitsrechte nur handeln kann, nach der da-
mals herrschenden Lehre von Natur vermögensunfähig ist; vgl. oben Bd.I S. 52.
So Schwab in Arch. f. civ. Prax. XXX Beil. Er hat für die öffentlichen Flüsse
das fiskalische Eigentum, das doch schon stark in Frage gekommen war, ent-
schieden verworfen (S. 32, 95); es handelt sich um wesentliche Hoheitsrechte, die
der Staat daran übt. Freilich, meint er, „läßt sich nicht absehen, warum diese
Befugnisse nicht neben jenem allgemeinen Rechtsgrunde insbesondere auch aus
dem Staatgeigentum sollten abgeleitet werden können“ (S. 57 Note 80). Allein
das ist kaum der Mühe wert; denn „es gibt dieses öffentliche Eigentum seiner
Natur nach dem Staate ein mehr polizeiliches Recht der Aufsicht, Regelung und
Beschränkung der Staatsbürger, als ein ausschließliches Verfügungsrecht über die
Sache, wie dies das Privateigentum dem Berechtigten verleiht“ (8. 58 Note 81).
Also offen gesagt, doch kein Eigentum! Ähnlich Lang, Württemb. Sachenrecht
$ 17: Sein „öffentliches Gemeingut“, welches kein Privateigentum des Fiskus sein
soll, wird ihm unter den Händen zur res nullius! — Das A. L.R. II, 15 $ 2 be-
dient sich für öffentliche Sachen der wenig glücklichen Bezeichnung „gemeines
Eigentum des Staates“. Darüber Gruchot, Beitr. XXXIX 8. 525 ff. (Rausnitz).
XLVII S. 330 ft. (Trautmann), LIV S. 338 ff. (Moll, Das Preußische Ober-
tribunal hat mehrfach ausgesprochen, daß die öffentliche Sache, die im gemeinen
Eigentum des Staates steht, jedenfalls nicht res fisci sei. Das Reichsgericht
schloß sich dem an und kam mit Hilfe des Gedankens, daß nur der Fiskus, nicht
aber der Staat Eigentum haben kann, zu dem Satz (R.G. 23. Sept. 1880; Entsch.
II S. 232): Das Bett des Flusses „ist nach A. L.R. II, 14 $ 21 gemeines Eigen-
tum des Staates, somit res communis omnium, eine res nullius und deshalb res
publica“. Welche Windungen! Eine praktische Anwendung in R.G. 10. Febr.
1881 (Entsch, IV S. 258): Der Fiskus hatte einen Steinblock aus dem schifibaren
Flusse geholt, ein Uferbesitzer ihm das Recht streitig gemacht. Das Reichsgericht
sagt: „Allerdings schließt das gemeine Eigentum des Staates das besondere Eigen-
tum eines einzelnen an dem Flusse und dem dazu gehörigen Bette aus...
Deshalb hat niemand ein Privateigentum an dem Bette des Flusses, und zwar
weder der Fiskus, noch die Anlieger.“ Dagegen hat jedermann das Recht, sich
die im Flusse befindlichen Steine zuzueignen, „auch der Fiskus.“ Wenn das ge-
meine Eigentum des Staates das Eigentum jedes einzelnen am Bette ausschließt,
80 doch nicht, sollte man meinen, das Eigentum des Staates selbst. Aber der
Staat des Reichsgerichts ist der „eigentliche Staat“, die reine hoheitliche Gewalt
der Polizeistaatsanschauung; dieser Staat kann kein Eigentum ausüben. Und da
kommt denn der Fiskus, dieser Realist, und zieht ihm die Steinblöcke aus
Seinem Bette!
Binding, Handbuch. VI. 2: Otto Mayer, Verwaltungsrecht. II. 2. Aull. 6