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möglich wäre, ihn zu erschrecken. Gehet hin zu Wiprecht und holt
ihn flugs zu mir.“ Und es ging einer, ihn zu holen. Es war aber
da in einem verschlossenen Hause ein wütender Löwe, den befahl er,
auf den Hof hinaus zu lassen. Der Löwe kam heraus und brüllte
furchtbar, und alle Anwesenden flohen an sichere Orte. Graf Wiprecht
aber wußte von dem Handel nichts und schritt ruhig in den Hof
hinein. Der böhmische Königssohn wollte ihn flugs warnen, aber
schon kam der Löwe auf ihn zugesprungen mit wütendem Brüllen.
Wiprecht heischte auf der Stelle sein Schwert, das sein Schildknappe
hinter ihm hertrug, aber der treue Diener warf sich für seinen un—
bewaffneten Herrn dem wilden Tiere entgegen. Doch Wiprecht war
nicht der Mann, der sich auf anderer Leute Kraft verlassen wollte.
Er ergriff seinen Knappen, warf ihn zurück und fiel ohne Waffen
mit beiden vorgestreckten Fäusten den Löwen an und zerzauste ihm
mit seiner Riesenkraft also die Mähne, daß das Tier ganz demütig
ward und bald von ihm abließ. Die Fürsten aber sahen hinter
den Pfeilern versteckt das Schauspiel an und erstaunten über des
männlichen Helden große Kühnheit.
Wiprecht aber ließ den Löwen und ging ruhigen Schrittes,
als sei nichts geschehen, hinauf zum König, trat hin und fragte,
was der König von ihm begehre und warum er ihn habe holen
lassen. Der König sprach: „Warum? Um deines eigenen Heils
willen, denn nun haben wir durch einen Versuch erprobt und wissen
in der Wahrheit, daß dir allewege das Glück hold ist.“ Dem
Grafen aber genügte diese Antwort nicht. Da sagten ihm die
Fürsten den ganzen Handel. Aber Wiprecht ward zornig und sprach
zum Könige: „Du hast meine treuen Dienste schlecht belohnt. Ich
bin deiner Fahne gefolgt nicht zum eitlen Spiel, sondern zum ernst-
haften Kampfe. Ich habe dir redlich gedient samt meinen Mannen
und bin in allen Abenteuern der Anführer und Vorgänger gewesen.
Das mögen mir alle bezeugen, die solches hören. Aun aber mag
ich dir nicht länger dienen. Ich gehe hinfort zu anderen Fürsten,
die meine Dienste besser lohnen und mich nicht um eitler Augen-
weide willen den wilden Tieren preisgeben.“ Also sprach der
mannliche Held, und der König fing an, sich schier vor ihm zu
fürchten. Wiprecht aber ging stolz in seinen Waffen davon.