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mit seiner Pflegeschwester gewährten, leider fand sich aber keine
passende Gelegenheit, und als zeines Tages der Junker ausgezogen
war, um einen Waffenbruder seines Baters, Bruno von Scharfen-
stein, gegen einen Raubritter namens Rekko von Mauenstein, der
schon vor 18 Jahren die schwangere Gemahlin des erstern geraubt
hatte und jetzt abermals dessen Schloß belagerte, beizustehen, ent-
dechte seine Mutter die Schwangerschaft ihrer Pflegetochter. VNa-
türlich Konnte sie nicht im Zweifel sein, wer der Urheber derselben
war; sie entdeckte also ihrem Gemahl alles, allein da beide sehr
adelstolz waren, so fiel es ihnen gar nicht ein, den einmal ge-
schehenen Fehltritt der beiden jungen Leute zuzudechen. Im Gegen-
teil, sie behandelten das unglückliche Mlädchen, ganz als sei sie eine
freche Buhldirne und habe den Junker verführt, und ließen sie unter
schweren Mlißhandlungen ins tiefste Burgverlies werfen. Hier genas
sie unter furchtbaren Schmerzen eines Knäbleins, und da sie sich
von Gott und Mienschen verlassen glaubte, schleuderte sie dasselbe
an die Mauer des Kerkers. Da stand plötzlich eine weiße Gestalt
vor ihr, welche ihr sagte, sie sei seit undenklicher Zeit wegen einer
ähnlichen Handlung zum ruhelosen Umherirren von dem Schicksal
verurteilt gewesen, jetzt aber durch sie erlöst worden, und sie werde
nun ihre Stelle einnehmen, bis einst ein Reusches Weib, welches
niemals einen unreinen Gedanken in ihrer Seele gehegt, in
stiller Mitternacht ihren Mamen dreimal ohne Furcht rufen werde.
Die Unglückliche sank tödlich erschrochen zu Boden und erwachte
nicht wieder, wohl aber erschien ihr Geist dem hartherzigen Pflege-
vater und verkündete seinem Hause Verderben. Reuig eilte er in
ihren Kerker hinab, allein er fand nur ihren Leichnam und den
ihres neugebornen Kindes. Er ließ beiden ein prächtiges Begräbnis
ausrichten, allein eben als man sie beisetzte, kehrte sein Sohn als
Sieger von seiner ersten Waffentat zurüch. Voller Freude eilte er
der Burg seines Vaters entgegen, denn er hatte aus dem Munde
des gefangenen Raubritters erfahren, daß seine Geliebte das von
letzterem im Freiwalde ausgesetzte Töchterchen der entführten Ge-
mahlin des Ritters von Scharfenstein sei, und hoffte nun nichts
gewisser, als daß seine Eltern nunmehr ihre Einwilligung zu seiner
Verbindung mit ihr nicht mehr versagen würden. Böses ahnend,
als er die Trauerfahne vom Schloßturme wehen sah, sprengte er
in den Schloßhof, wo ihm der Leichenzug entgegenkam. Die Wahr-