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heutigentags nur noch wenige mit Moos, Sträuchern und Schling—
pflanzen überwachsene Mauerreste. Der alte Burgherr, so erzählt
die Uberlieferung, hatte zwei Söhne, ehrenhafte und mutige Mitter.
Sie waren die ganze Freude und der Stolz ihres Baters. Einst
kam eine ANichte des alten Burgherrn zu Besuch auf das Schloß:;
sie war ein anmutiges Fräulein, ausgestattet mit allen Reizen der
Jugend und liebevoll in ihrem Umgange. Die beiden Brüder
wetteiferten, ihre Gunst zu erwerben. Allmählich schien es, als ob
die holde Jungfrau den jüngeren vor dem älteren bevorzuge. Da-
durch wurde die bis dahin bestandene Eintracht zwischen den beiden
Brüdern zerstört, denn den Verschmähten quälte die Eifersucht und
fraß sich immer tiefer in sein Herz ein. Mit vieler Alühe gelang
es endlich dem alten Burggrafen, die beiden Brüder zu versöhnen.
Die alten schönen Zeiten schienen wiederzukehren. Eines Tages
nun ward von dem ältern Bruder ein Jagdreiten in Vorschlag ge-
bracht, an dem auch der jüngere Bruder und das Edelfräulein teil-
nahmen. Alle Jagdgenossen waren in fröhlichster Laune; nur der
altere Bruder ritt ernst und schweigsam dahin und wurde immer
finsterer und verschlossener, je lauter die Lustigkeit der anderen sich
gestaltete. Die Eifersucht regte sich von neuem in ihm, und böse
Gedanken erfüllten sein Herz. Als er den Bruder in der Nähe der
schönen Jungfrau erblichte und ihr freundliches Lächeln gewahrte,
mit dem sie den jungen Mitter anblickte, ritt er herzu und verbot
dem Bruder mit barschen Worten jedes fernere Schöntun mit dem
Mlädchen, da er auf sie Anspruch erhebe. Bestürzt suchte das Edel-
fräulein zur Ruhe zu mahnen — umsonst, die Schwerter flogen aus
der Scheide, und der erbittertste Kampf begann. Endlich schlug der
ältere Bruder den jüngeren mit einem wuchtigen Streiche zu Boden,
wo dieser sich verblutete. Der Mörder entfloh, entsetzt über seine
unheilvolle Tat. Den alten Vater aber rührte bei der Kunde von
dem schrechlichen Vorfall der Schlag. ANachdem die beiden Toten
mit allen Ehren bestattet waren, ging das Fräulein in ein Kloster.
Den Brudermörder trieb es rastlos in der Welt umher; nirgends
fand er Ruhe. Nach langer Wanderung Bam er auch in die ewige
Stadt, nach Rom. Dort beichtete er dem Heiligen Bater seine
Freveltat und flehte fußfällig um Vergebung seiner Sünden. Der
Papst gewährte seine Bitte unter der Bedingung, daß er seinen
ganzen Besitz der Kirche übergebe, ein Alönch werde und an jener