Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

— 1048 — 
Die Worte Georgs erfüllten sich; die Feinde nahten erst, nach— 
dem alle Vorbereitungen zu deren nachdrücklichem Empfange ge— 
troffen waren. Sie wurden über die Grenze zurückgetrieben, und 
dabei zeichnete sich Georg durch persönliche Tapferkeit aus, so daß 
er sich noch mehr die Liebe seines Herrn gewann. 
Später zeigte sich die Treue und Liebe Georgs noch auf eine 
andere Art. Sein Herr gab ihm einst ein Schreiben, welches nach 
dem Rittersitze Grünau bei Marienberg bestimmt war, mit dem 
Bemerken, bei der Bestellung zu eilen, dieweil es not habe, der 
Ort, wohin der Brief solle, fern liege und die Sonne schon tief 
stehe. Georg versprach's und rühmte sich, die drei Meilen bis nach 
dem Orte Grünau mit der Schnelle eines Vogels zurücklegen zu 
wollen. Aach Verlauf einer Stunde aber kam der Ritter von un— 
gefähr in den Stall. Wie erstaunte er da, als er seinen Knecht, 
den er weit fort glaubte, in einer Eche des Stalles, auf Stroh ge- 
bettet, sanft schlafend fand. Da ward der Ritter unwillig und 
wechkte den Knecht auf, indem seine Augen in aufsteigendem Zorne 
funkelten, doch bezwang er sich, denn sein Herz war gut und sein 
Gemüt lauter und fromm. Erschrocken vor seines Herrn plötzlicher 
Umwandlung fuhr Georg auf: „Da, lieber Herr, — o zürnt mir 
nur nicht! — da ist ja schon die Antwort!“ Unter diesen Worten 
überreichte er das Gegenschreiben. „Bei allen Heiligen!“ rief der 
Ritter aus, dessen Angesicht erbleicht war, „es ist die Wahrheit! 
Sage, Georg, wie wäre das wohl möglich? Du müßtest schneller 
als der Sturm, flüchtiger als der Raubvogel gewesen sein, um das 
zu vollbringen. Du warst also wirklich in Grünau?“ Und als 
Georg diese Frage bejahte, verfinsterten sich des frommen Bechen- 
bergers Züge; mit stillem Grausen erbrach er zitternd das Schreiben 
und taumelte mit Entsetzen zurück, als er wirklich die ihm wohl- 
bekannte Handschrift des weit entfernten Freundes in Grünau erblichkte 
Aachdem er die Antwort gelesen hatte, hob er also an: „So 
ist es denn wahr, was ich nimmermehr für möglich gehalten hättel 
Dies zu vollbringen, reicht die Menschenkraft nicht aus. Entweder 
bist du, seltsames Wesen, ein Bote Gottes, oder ein Abgesandter 
des Teufels! Die Weise deines Tuns, wie auch dein Tun selber ist 
unheimlich und verschlossen, und du scheinst mir unmöglich ein 
Sterblicher zu sein!“ Da verwandelte sich schnell, wie durch Zauber- 
kraft, der rätselhafte Jüngling vor den Augen des Ritters, und eine
	        
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