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noch viel Gehölz und Wald war. So haben sich beide einmal
eine gewisse Zeit bestimmt, hier zusammenzutreffen; die Prinzessin
hält ihre Zeit auch, es kommt aber kein Prinz. Da nun die
Stunde verstrichen ist, meint sie, längeres Warten sei vergeblich;
sollte sich ihr Geliebter aber ja noch einstellen, so läßt sie ihren
am Brunnen ausgebreiteten Mantel zum Wahrzeichen, daß sie da—
gewesen, zurück. Aun geschieht es aber, daß sich der Prinz doch
noch einfindet, er findet den Mantel und auf diesem einen jungen
Löwen liegen. Der Prinz erkennt den Mantel und glaubt, der
alte Löwe habe die Prinzessin getötet, ersticht sich deshalb mit seinem
Dolche. Als man nun hier den Ermordeten findet, begibt sich die
Prinzessin ebenfalls dahin, nimmt den Dolch, der noch in seiner
Brust steckt, und gibt sich damit den Tod, und davon heißt der
Brunnen noch jetzt der Totenborn.
1259. Miescos Eiche (Sage von der Burg Siebeneichen M.
bei Meißen).
„Bunte Bilder aus dem Sachsenlande“, Bd. 1, S. 37 ff., nach einer alten
sächs. Zeitschrift.
Im zehnten Jahrhundert, als das Eroberungsschwert Heinrichs
des Finklers Christentum und deutsche Gesittung in die Sorben-
gaue zu beiden Seiten der Elbe führte und der Gewaltige das alte,
fast tausendjährige Meißen gründete, hauste auf dem Schlosse, welches
wir unter dem Aamen „Siebeneichen“ (bei Meißen) kennen, ein
reichbegütertes sorbisches Geschlecht. Es war dem großen Kaiser
befreundet, hatte für ihn siegreich gegen die Ungarn und Wenden
gefochten und seinen Dank verdient.
Kaiser Heinrich sprach einst bei dem Burgherrn Wratislav,
dem Besitzer des Schlosses, ein, und dieser, erfreut über eine solche
Gunst, stellte ihm seine sechs Söhne vor und bat ihn, daß er auch
sie seines Dienstes würdigen möge. Heinrich freute sich der schönen,
kräftigen Jünglinge und fragte den Vater, ob er keinen Sohn
weiter habe. Da verstummte dieser und wollte nicht mit der Ant-
Hier dient die Erzählung Ovids von Pyramus und Thisbe offenbar
zur Erklärung des Brunnennamens.
Meiche, Sagenbuch. 67