Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

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wort heraus. Als aber der Kaiser freundlich in ihn drang, gestand 
er, daß sein ältester Sohn, Miesco, erbittert über den siegreichen 
Fortgang der deutschen Waffen und über die Anhänglichkeit der 
Seinen an den Kaiser, schon seit länger als Jahresfrist aus der 
väterlichen Burg entwichen sei und sich den slavischen Volksstämmen 
beigesellt habe, mit denen der Kaiser im Kriege lebte. 
Heinrich hörte ihn teilnehmend an und suchte ihn zu trösten. 
„Die Treue des Vaters,“ sagte er, „kann nicht durch den Verrat 
eines entarteten Sohnes getrübt werden. MNoch bleiben euch sechs 
Söhne, Eichen deutscher Ritterschaft. Glaubt mir, sie werden herr- 
lich fortgrünen im Laufe der Jahrhunderte und stolz hinausblichen 
in ferne Zeiten.“ Hierauf gebot er den sechs Jünglingen, ihm in 
den Schloßgarten zu folgen. Dort ließ er jeden der Brüder einen 
jungen Eichbaum pflanzen und wünschte, daß ihr Geschlecht wachsen 
und gedeihen möge wie diese Bäume. Dann ließ er sie nieder- 
knien, erteilte ihnen den RNitterschlag und nannte sie Herren von 
Sechseichen. 
Leider traten nur zu bald Unfälle ein, die des Kaisers frohe 
Hoffnungen für das Gedeihen des Geschlechts zu zertrümmern 
suchten. Die slavischen Stämme sammelten ihre letzte Kraft, um 
ihren Glauben und ihre Unabhängigkeit gegen den deutschen Ein- 
fluß zu behaupten. Der alte Wratislav zog ihnen mit seinen sechs 
Söhnen mutig entgegen und half sie zu wiederholten Malen zurüch- 
treiben. Aber immer stellte sich ihnen da, wo sie eben fochten, ein 
vom Kopfe bis zum Fuße gepanzerter Ritter entgegen, der, wie mit 
übermenschlicher Kraft begabt, sich durch Freund und Feind zu 
ihnen vorkämpfte und nicht eher ruhte, als bis einer der jungen 
Helden von „Sechseichen“ seinem Schwerte erlegen war. 
Mehrere Gemetzel dieser Art fanden statt, ehe die Slaven das 
meißnische Gebiet räumten oder sich unterwarfen. In jedem der- 
selben blieben die Deutschen Sieger, aber in jedem deckte auch ein 
Sechseichen, erschlagen von dem gewaltigen Arme des unheimlichen 
Helden, den Wahlplatz. 
So war nach wenigen Monaten von den herrlichen sechs 
Jünglingen, den Lieblingsrittern des großen Kaisers, nur noch der 
jüngste, Boleslav, am Leben, und während die sechs Eichen im 
Burggarten lustig fortgrünten, moderten fünf ihrer Pfleger bereits 
in der Gruft.
	        
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