— 1068 —
sondern derselben frech seine Liebe entdeckt und verlangt, sie solle
ihm zu Willen und ihrem Gatten untreu sein. Die hat ihn aber
kurz abgewiesen und gedroht, es ihrem Manne, wenn er heim—
gekehrt sei, zu entdechen. Da hat er ihr die erdichtete Mär vom
Tode ihres geliebten Gatten in ferner Schlacht zugehen lassen und
nach einiger Zeit seine schändlichen Anträge erneuert, ist aber aber-
mals zurüchgewiesen worden, und es hat ihm die fromme Burgfrau
für immer den Besuch von Helfenstein untersagt. Unter schweren
Drohungen ist er davongeritten; allein nicht lange hat es gedauert,
da hat er eine furchtbare Gewitternacht benutzt, ist mit seinen Raub-
gesellen unbemerkt gen Helfenstein gezogen und hat die Burg er-
stiegen und, nachdem die wenigen Getreuen, die sich zur Wehre
gesetzt, gefallen waren, seine Schwägerin trotz ihres Sträubens er-
griffen, sie mit aufs Roß genommen und ist eilig davongejagt;
diese aber, weil sie keine Hilfe und Rettung mehr gehofft, hat die
Gelegenheit ersehen und ist in der Aähe eines bei Helfenstein ge-
legenen Brunnens vom Nosse heruntergeglitten und eilig entflohen;
wie sie sich aber umgeschaut und jenen ihr schon so nahe gesehen,
daß Rkein Entkommen mehr möglich gewesen, hat sie ihre Seele dem
Herrn befohlen und sich in den Brunnen gestürzt. Der böse Schwager
aber, wütend, daß sein Bubenstück mißlungen, und den Zorn seines
Bruders fürchtend, ist umgekehrt und hat das Schloß von seinen
Raubgesellen in Brand stechken lassen, dann aber ist er, wie von
den Furien der Rache gejagt, davongeritten. Weit leuchtete aber
die Brandfackel in die umliegenden Täler hinein, und auch ein
Trupp Reisige, der seines Wegs zog, gewahrte sie; das waren der Herr
von Helfenstein und seine Mannen, die heim aus fernen Kämpfen
zogen. Sie jagten wohl, was die Pferde laufen mochten, allein
sie Kamen doch erst an den Toren an, als alles zerstört und bis
auf wenige Mauern niedergebrannt war, und ein alter verwundet
zurückgebliebener Knappe berichtete seinem Herrn die schreckliche
Kunde. Da hat dieser Schwert und Schild abgelegt und ist in ein
Kloster gegangen, für die Seele seiner treuen Gattin zu beten; sein
schändlicher Bruder aber hat nirgends im Lande Schutz finden
können, sondern die Strafe hat ihn bald ereilt, und er hat mit
seinen Genossen seine Untat auf dem Rade büßen müssen.