— 86 —
109. Die weiße Frau im Pfarrgarten zu Meerane.
Aach Gräße, Bd. U, Ar. 624; Leopold, Chronik von Meerane, S. 252.
In alter Zeit lebte auf dem Schlosse zu Meerane ein Herzog,
der von seiner Gemahlin kReine Kinder bekam. Daher nahmen sie
ein junges Mädchen, eine Gräfin, an Kindesstatt an. Als diese
17 Jahr alt war, starb des Herzogs Gattin. Sie ward bald ver-
gessen und die junge Gräfin Rhurz nachher von dem Herzog zu
seiner zweiten Gemahlin erwählt. Diese gebar ihm in der Folge
zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen. Als nun ersterer
acht, letztere zwei Jahre alt war, da starb der Herzog und die
junge Frau ließ sich sehr bald von ihrer bösen Lust verleiten, die
Bewerbung eines jungen, freilich nicht ebenbürtigen Mannes an-
zunehmen. Als derselbe nun wieder einmal bei ihr gewesen war,
ließ er beim Fortgehen die Worte fallen: „Wenn nur vier Augen
nicht wären!“ Das verblendete Weib, die unnatürliche Mutter
deutete diese Worte aber so, daß ihr Liebhaber sie gern heiraten
würde, wenn sie nur nicht die zwei Kinder hätte. Sofort faßte
sie ihren Entschluß. Sie schichte die Wartefrau mit den Kindern
in das nahe bei Meerane gelegene Gottesholz, um daselbst spazieren
zu gehen, und ein von ihr gedungener Meuchelmörder, der ihnen
dort auflauern mußte, überfiel sie und tötete zuerst die Rinder-
frau. Als der Knabe selbige in ihrem Blute hinsinken sah, da
versprach er ihm, er wolle ihm fünf von seinen acht Rittergütern
geben, wenn er ihn leben lasse. Allein es half nichts, der Mörder
stach ihn nieder. Das kleine Schwesterchen, die nun von ihm ge-
pacht ward, hielt ihm wie zur Abwehr ihre Puppe entgegen, allein
er stieß sie zurückh und mordete sie unbarmherzig auch.“ Die
* In einem alten Buche über Meerane soll diese Begebenheit ab-
gebildet sein mit den Unterschriften:
Mein lieber H. laß mich leben,
Ich will dir Neudeck und Mossen geben,
Pleißenburg, die neue,
Es wird dich nicht gereue;
Mein lieber H. laß mich leben
Ich will dir meine Puppe geben.
und:
Vergl. die Sagen von der Gräfin von Orlamünde und der berüchtigten
Weißen Frau auf der Plassenburg und in Berlin. (S. Gräße, Preuß.