Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

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109. Die weiße Frau im Pfarrgarten zu Meerane. 
Aach Gräße, Bd. U, Ar. 624; Leopold, Chronik von Meerane, S. 252. 
In alter Zeit lebte auf dem Schlosse zu Meerane ein Herzog, 
der von seiner Gemahlin kReine Kinder bekam. Daher nahmen sie 
ein junges Mädchen, eine Gräfin, an Kindesstatt an. Als diese 
17 Jahr alt war, starb des Herzogs Gattin. Sie ward bald ver- 
gessen und die junge Gräfin Rhurz nachher von dem Herzog zu 
seiner zweiten Gemahlin erwählt. Diese gebar ihm in der Folge 
zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen. Als nun ersterer 
acht, letztere zwei Jahre alt war, da starb der Herzog und die 
junge Frau ließ sich sehr bald von ihrer bösen Lust verleiten, die 
Bewerbung eines jungen, freilich nicht ebenbürtigen Mannes an- 
zunehmen. Als derselbe nun wieder einmal bei ihr gewesen war, 
ließ er beim Fortgehen die Worte fallen: „Wenn nur vier Augen 
nicht wären!“ Das verblendete Weib, die unnatürliche Mutter 
deutete diese Worte aber so, daß ihr Liebhaber sie gern heiraten 
würde, wenn sie nur nicht die zwei Kinder hätte. Sofort faßte 
sie ihren Entschluß. Sie schichte die Wartefrau mit den Kindern 
in das nahe bei Meerane gelegene Gottesholz, um daselbst spazieren 
zu gehen, und ein von ihr gedungener Meuchelmörder, der ihnen 
dort auflauern mußte, überfiel sie und tötete zuerst die Rinder- 
frau. Als der Knabe selbige in ihrem Blute hinsinken sah, da 
versprach er ihm, er wolle ihm fünf von seinen acht Rittergütern 
geben, wenn er ihn leben lasse. Allein es half nichts, der Mörder 
stach ihn nieder. Das kleine Schwesterchen, die nun von ihm ge- 
pacht ward, hielt ihm wie zur Abwehr ihre Puppe entgegen, allein 
er stieß sie zurückh und mordete sie unbarmherzig auch.“ Die 
  
* In einem alten Buche über Meerane soll diese Begebenheit ab- 
gebildet sein mit den Unterschriften: 
Mein lieber H. laß mich leben, 
Ich will dir Neudeck und Mossen geben, 
Pleißenburg, die neue, 
Es wird dich nicht gereue; 
Mein lieber H. laß mich leben 
Ich will dir meine Puppe geben. 
und: 
Vergl. die Sagen von der Gräfin von Orlamünde und der berüchtigten 
Weißen Frau auf der Plassenburg und in Berlin. (S. Gräße, Preuß.
	        
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