Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

— XIII — 
sich nicht mit der Wiedergabe der einfachen Tatsache begnügt, 
sondern sie auch erklärt und dazu Anschauungen benutzt, die im 
Volke allgemein umlaufen und auch auf jeden ähnlichen Fall 
angewendet werden können. 
Ihren Stoff entlehnt die Sage ungewöhnlichen Formen 
oder Vorgängen in der Natur (Erratische Blöcke, Irrlichter, Ge- 
witter usw.), allgemein menschlichen Zufällen (Traum, Krankheit, 
Tod u. dergl.) und den ganze Völker oder einzelne Volksgruppen 
berührenden geschichtlichen Ereignissen (in denen sich eine Kultur- 
epoche widerspiegelt). Aus jenen erwächst die muthische Sage, 
aus diesen die historische. 
Die Sage kann daher durch wissenschaftliche Untersuchung 
auf ihren wahren Kern zurückhgeführt werden — nur vereinzelt 
wird sie sich als bloße Erfindung entpuppen —, ihrem Wesen 
nach aber fordert besonders die mythische Sage unbedingten 
Glauben, der über den jeweils herrschenden Glauben, nicht nur 
der Kirche, hinausgeht. So verquicken sich Sage und Aberglaube, 
ja man möchte die Sage in vielen Fällen geradezu als den durch 
Beispiele gestützten und erwiesenen Volksglauben bezeichnen, als 
einen dramatisierten Aberglauben. Umgekehrt können natürlich 
Sagen verblassen und abergläubische Vorstellungen als BRüchstand 
verbleiben. 
Demnach sind z. B. die Erzählungen bei Gräße (Nr. 277) 
von der schönen Polyxena, die ihren Ehegatten um eines Buhlen 
willen ermordet und darum enthauptet wird, oder (Nr. 280) von 
dem Affen, der zu Freiberg mit einem Wichelkinde auf ein Dach 
flüchtet, aus einem Sagenbuch auszuscheiden und etwa einer 
Sammlung merbwürdiger Begebenheiten einzufügen. Anderes 
wieder würde in ein Werk über den Aberglauben in Sachsen 
oder als Beitrag zu einem Buche über sächsische Städtewahr- 
zeichen dienen können usw. 
Soweit es sich um übernatürliche, auf den Glauben ge- 
stellte Züge im Wesen der mythischen Sage handelt, wird eine 
verschiedene Weltanschauung über die Aufnahme einzelner Sagen 
in eine Sammlung solcher immer geteilter Ansicht sein. Dem
	        
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