Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

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Talar, band sich die Päffchen um den Hals und nahm die Bibel 
in den Arm. So angetan kehrte er zu der todesbleichen Magd 
zurück und erflehte von dem Unsichtbaren deren Erlösung. Kaum 
hatte er das Gebet gesprochen, da ertönten dumpf aus dem Gewölbe 
geisterhafte Laute. Beherzt blickte der Pfarrer hinein. Der geschlossene 
Sarg war geäffnet; die Leiche hatte sich emporgerichtet. Hell blinkten 
die goldnen Knöpfe der großen Generalsuniform und dröhnend 
schallte des Toten Stimme: „Mädchen, lasse einen armen, müden 
Sünder ruhen und störe seinen Schlummer fortan nicht mehr!“ 
Damit war die geängstigte Spötterin wieder frei. Aie hat sie sich 
wieder eines gleichen Frevels vermessen. — 
—— 
253. Die wilden Rosen vom Gickelsberg. 
Pilk im „Sächsischen Erzähler“ (Bischofswerda), Belletristische Beilage vom 
16. April 1892. 
Ein Ritter des Raubschlosses auf dem Gickelsberge (zwischen 
Gaußig und Meukirch) hatte zweibildschöne Töchter, welche mit den 
Landleuten in liebreichster Weise verkehrten. Ihr Hauptvergnügen be- 
stand darin, daß sie allsonntäglich im benachbarten Naundorf erschienen, 
um daselbst im Erbgericht mit den jungen Burschen nach Herzenslust zu 
tanzen. Die Burgfräuleins trugen einfache Kleidung. Von ihrem 
flachsblonden Haar, das stets mit wilden MRosen durchflochten war, 
wallte ein weißer, duftiger Schleier hernieder. Um den Hals hatten sie 
immer eine mehrreihige Kette von Hagebutten geschlungen. Bei vor- 
gerückter Zeit begaben sie sich zu Fuß auf den Heimweg. Sie ließen 
sich dabei gern von den schönsten und gewandtesten Tänzern geleiten 
und reichten denselben beim Abschied am Burgpförtchen je ein Hain- 
röschen, das sie aus ihrem Haar herausnestelten, zum Lohne. Aus 
der Schar der Bauernburschen erkoren sich die beiden wilden Rosen 
vom Gichelsberge oder, wie sie das Volk allgemein nur nannte, 
„die Fröl'ns“ auch ihre Bräutigams. Doch vor der Vermählung 
brach ein Krieg über das Land herein. Das Schloß des alten 
Ritters wurde zerstört und er samt seinen Töchtern enthauptet. 
Aun umschweben ihre Schatten Sonntags abends, wenn drunten 
von Naundorf die Klänge der Musik leise heraufschallen, die 
Trümmer der Burg und blicken sehnsüchtig nieder ins Tal. Schon
	        
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