Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

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des Friedhofes an der Stelle, wo die Leichen der Selbstmörder zur 
Ruhe gebettet werden, beerdigt. Des Sonntags nach seinem Tode 
gegen 7 Uhr morgens — es war Winterszeit und noch ziemlich 
dunkel —, als seine Gefährten beim Scheine einer Laterne den 
Turm erstiegen, um das erste Kirchgeläut ertönen zu lassen, öffneten 
dieselben zuvor die Schalllöcher und riefen nach dem Winkel des 
Gottackers, wo ihr Kamerad begraben lag, herab: „Merbach Kkomm, 
hilf läuten!“ Da erhielten sie ganz deutlich von der Stimme des 
Verstorbenen zur Antwort: „Ich komme schon!“ Die Jungen meinten 
nun zwar, es habe ihnen ein anderer, in der Dunkelheit unten Vor- 
übergehender scherzhaft diese Worte zugerufen. Als sie aber an- 
fingen, die Glochen in Schwingungen zu versetzen, da fuhr eine 
bleiche Knabenhand an den Strang, umfaßte denselben und zog 
mit daran. Vor Entsetzen ließen die Buben los und flüchteten 
samt und sonders die Treppen des Turmes hinunter. Zwei der 
Glocken verstummten alsbald, während die von der Geisterhand be- 
wegte noch geraume Zeit weiter tönte und dann mit schrillem Klange 
abbrach. Einer der mitbeteiligten Knaben soll von dem empfundenen 
Schrecken krank geworden und gestorben sein. — 
255. Die weiße Frau am Haarthteiche bei ANeubirch. 
Pilk im „Sächsischen Erzähler“ (Bischofswerda), Belletristische Beilage 
vom 8. Oktober 1892. 
Da wo der Wald beginnt, steht verlassen an ihn gelehnt das 
letzte Gebäude des Dorfes, die Wohnung eines herrschaftlichen Forst- 
beamten, einst ein kleiner Ritterhof, denen von Bolbritz gehörig, 
daher noch jetzt vom Volke das „Bolbritz-Borwerk“ genannt. 
Später sollen hier zwei Edelfräuleins ein einsames, freudloses Da- 
sein geführt haben. Eins derselben spielt in der Volkssage als 
weiße Frau eine BRolle. Bis an dieses Haus heran reichte noch 
im 16. Jahrhunderte der Haarthteich, der jetzt zu einem kleinen 
Weiher auf Aeukircher Flur zusammengeschrumpft ist. Mlitten durch 
sein Gewässer lief die bischöflich meißnische und königlich böhmische 
Grenze. In den Lehnbüchern der Stolpener Regierung findet sich 
seine westliche Hälfte oft als Zubehör des Rittergutes Putzkau er- 
wähnt.
	        
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