Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

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273. Die Georgenkapelle auf dem Rothstein. 
Gräße, Bd. II, Nr. 840; novellistisch behandelt von Klar a. a. O., S. 79 ff. 
Eine der schönsten Fernsichten, welche die Oberlausitzer Ge- 
birge bieten, gewährt der Rothstein bei Sohland: er gleicht einem 
prächtigen in Form eines Hufeisens angelegten Schanzwalle, mit 
der Offnung nach Süden und der Rundung nach Aorden gerichtet. 
Die westliche Kuppe von geringerer Höhe heißt der Georgenberg 
und trägt die Ruine einer alten St. Georg geweihten Kapelle. Die- 
selbe war im Mittelalter in hohem Ansehen, kam aber durch eine 
daselbst verübte Greueltat plötzlich in Berfall. Die Ursache war 
folgende. Auf der östlichen Kuppe des Berges stand eine Burg, 
welche dem Ritter von Rothstein gehörte. Derselbe war aber ein 
gefürchteter Raubritter, und sein Treiben brachte es bald dahin, 
daß die Kapelle von niemandem mehr besucht wurde. Einst sah 
er vom Fenster seines Schlosses aus einen von kostbar gekleideten 
Dienern begleiteten Wagen auf der Landstraße fahren, und da eben 
ein großer Teil seiner Leute auf einem Raubzuge aus war, konnte 
er nur durch List hoffen, einen glücklichen Fang zu tun. Er legte 
also ein Pilgerkleid an, und machte sich so unkenntlich wie möglich, 
stieg den Berg hinab und begab sich in das Haus eines Landmanns, 
vor welchem der Wagen Halt gemacht hatte. Er gab vor, er Kkomme 
aus fernen Landen und wolle eines Gelübdes halber nach der Georgen- 
kapelle pilgern, und es gelang ihm auch, die Besitzerin des Wagens, 
eine vornehme polnische Edelfrau, die nach dem Tode ihres Gemahls 
auf einer Reise durch Deutschland begriffen war, zu veranlassen, 
die Pilgerwanderung nach dem nahen Berge mitzumachen. Er 
nahm, um alle recht sicher zu machen, den Landmann als Führer 
mit, und so stiegen sie denn nur noch in Begleitung einer einzigen 
Dienerin der Dame den Berg hinan. An der Kapelle angelangt, 
gelang es ihm leicht, den nichts Böses ahnenden Bauer auf die 
Seite zu lochen und zu ermorden, und einige seiner Knechte, die in 
der Aähe der Kapelle verborgen lagen, ergriffen ohne Mühe die 
Fremde und schleppten sie auf den Rothstein; allein die Dienerin 
entging ihnen durch die Schnelligkeit ihrer Füße, eilte ins Dorf 
herab und machte Lärm. Einige zufällig anwesende Ritter von 
ihr zur Befreiung ihrer Herrin aufgefordert, beschlossen, wo möglich 
das Raubschloß durch Uberfall zu nehmen. Es glückte ihnen auch,
	        
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