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Sonne ihren höchsten Stand eingenommen, säumte der Bauer nicht,
nach dem bezeichneten Ort zu gehen. Zu seinem großen Erstaunen
fand er ein Tischchen gedeckt, und darauf lag ein wohlgeratener
Kuchen. ANoch ehe sich aber der Bauer niedersetzte, vernahm er
deutlich die Worte: „Aun iß den Kuchen, doch anschneiden darfst du
ihn nicht!“ Da ward ihm ganz eigen zumute, und fast hätte er
den Kuchen ungegessen gelassen und würde davon gegangen sein,
wenn er nicht endlich von ungefähr auf den Gedanken gekommen
wäre, den Kuchen rundum auszuschneiden. Außerordentlich mundete
ihm das Gebäck, und als er satt war, sagte er den Geistern seinen
Dank, stand auf und wollte wieder an seine Arbeit gehen; allein
kaum war er einen Schritt fortgegangen, so rief eine Stimme ihm die
Worte nach: „Der Teufel hat dich klug gemacht. Hüte dich, daß
wir nicht auch an dir tun, was du an unserem Kuchen getan hast!“
Aach Jahren fand man einen Leichnam unten am Stromberge im
Blute liegen. Die Brust war aufgeschlitzt und das Herz zerfleischt.
Dieser Unglückliche aber war jener Bauer, der den Kuchen ausge—
schnitten hatte.
3. Zu gewissen Zeiten war aber auf dem Stromberge ein
Schloß zu sehen, und deutlich beobachtete man dann aus der Ferne,
wie dessen Bewohner daselbst ihr Wesen trieben. Niemand aber
wagte es so leicht, persönlich dort einen Besuch abzustatten und das
Wesentliche jenes Schlosses näher zu untersuchen. Im Gegenteil
warnte man einander eher mit bedenklichen Mienen davor, um sich
nicht größeren Gefahren auszusetzen, als man vielleicht zu über—
sehen im stande sein mochte. Dennoch aber geschah es einst, daß
ein Bürger aus der jenem Berge benachbarten Stadt Löbau, ohne
daß er selbst davon wußte, jenes Schloß und seine Bewohner näher
kennen lernte. Die Geschichte, die man sich davon zu erzählen
weiß, ist folgende: Vor langer Zeit war einst ein Schuhmacher
aus Löbau in dem etwa zwei Meilen davon entfernten Städtchen
Weißenberg zu Markte gewesen, wobei ihn sein Weg am Strom—
berge vorbeiführte. Als er spät abends wieder nach Hause kehrte,
verirrte er sich im Dunkeln in der Gegend des Berges. Lange schon
ohne Weg und Steg im Finstern herumirrend, gewahrte er endlich
auf der Höhe jenes Berges den Schimmer eines Lichtes. Ohne
irgend etwas Unheimliches zu ahnen, ging er darauf zu, staunte
aber nicht wenig, als er bei mehr Annäherung ein schönes
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