Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

— 211 — 
Sonne ihren höchsten Stand eingenommen, säumte der Bauer nicht, 
nach dem bezeichneten Ort zu gehen. Zu seinem großen Erstaunen 
fand er ein Tischchen gedeckt, und darauf lag ein wohlgeratener 
Kuchen. ANoch ehe sich aber der Bauer niedersetzte, vernahm er 
deutlich die Worte: „Aun iß den Kuchen, doch anschneiden darfst du 
ihn nicht!“ Da ward ihm ganz eigen zumute, und fast hätte er 
den Kuchen ungegessen gelassen und würde davon gegangen sein, 
wenn er nicht endlich von ungefähr auf den Gedanken gekommen 
wäre, den Kuchen rundum auszuschneiden. Außerordentlich mundete 
ihm das Gebäck, und als er satt war, sagte er den Geistern seinen 
Dank, stand auf und wollte wieder an seine Arbeit gehen; allein 
kaum war er einen Schritt fortgegangen, so rief eine Stimme ihm die 
Worte nach: „Der Teufel hat dich klug gemacht. Hüte dich, daß 
wir nicht auch an dir tun, was du an unserem Kuchen getan hast!“ 
Aach Jahren fand man einen Leichnam unten am Stromberge im 
Blute liegen. Die Brust war aufgeschlitzt und das Herz zerfleischt. 
Dieser Unglückliche aber war jener Bauer, der den Kuchen ausge— 
schnitten hatte. 
3. Zu gewissen Zeiten war aber auf dem Stromberge ein 
Schloß zu sehen, und deutlich beobachtete man dann aus der Ferne, 
wie dessen Bewohner daselbst ihr Wesen trieben. Niemand aber 
wagte es so leicht, persönlich dort einen Besuch abzustatten und das 
Wesentliche jenes Schlosses näher zu untersuchen. Im Gegenteil 
warnte man einander eher mit bedenklichen Mienen davor, um sich 
nicht größeren Gefahren auszusetzen, als man vielleicht zu über— 
sehen im stande sein mochte. Dennoch aber geschah es einst, daß 
ein Bürger aus der jenem Berge benachbarten Stadt Löbau, ohne 
daß er selbst davon wußte, jenes Schloß und seine Bewohner näher 
kennen lernte. Die Geschichte, die man sich davon zu erzählen 
weiß, ist folgende: Vor langer Zeit war einst ein Schuhmacher 
aus Löbau in dem etwa zwei Meilen davon entfernten Städtchen 
Weißenberg zu Markte gewesen, wobei ihn sein Weg am Strom— 
berge vorbeiführte. Als er spät abends wieder nach Hause kehrte, 
verirrte er sich im Dunkeln in der Gegend des Berges. Lange schon 
ohne Weg und Steg im Finstern herumirrend, gewahrte er endlich 
auf der Höhe jenes Berges den Schimmer eines Lichtes. Ohne 
irgend etwas Unheimliches zu ahnen, ging er darauf zu, staunte 
aber nicht wenig, als er bei mehr Annäherung ein schönes 
14*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.