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und ihr Gatte weit entfernt war, hatte sie niemanden, der sich ihrer
angenommen hätte. Als die Unglückliche den ungerechten Spruch
vernahm, rief sie: „ich bin unschuldig, ein Wunder wird die Wahr-
heit meiner Worte bestätigen.“ Doch nichts half ihr ihr Beteuern,
sie ward auf den Nabenstein geschleift, und in demselben Augen-
bliche, wo ihr Gatte in die Mauern Bautzens eintritt, voll Freude,
sein Weib und Kind wieder umarmen zu Bhönnen, zerbrach der
Nachrichter ihre Glieder auf dem Richtplatze. Siehe, da spaltete sich
auf einmal das Gemäuer des Hochgerichts in drei Teile, und als
ihr unglücklicher Gatte sie noch einmal in schrecklich verstümmelter
Gestalt gesehen hatte, stürzte er sich verzweifelnd in sein Schwert.
Ihren Verderber aber ließ es keine Ruhe, er klagte sich selbst an
und konnte den Augenblich, wo sein schuldbeladenes Haupt sein
doppeltes Verbrechen fsühnen sollte, kaum erwarten. Das finstere
Gewölbe des MBabensteins umschloß auch seinen Leichnam, doch seine
Seele hatte keine Ruhe. Sobald die Dämmerung finstern Schatten
ausbreitete, sah man fortan eine weiße Gestalt über den Rabenstein
wandeln, bittend die Hände gen Himmel erheben und dann plötzlich
wieder verschwinden.
281. Wie vier Gehängte zu einem Futterschneider zu Gaste
gebeten worden und auch gekommen sind.
Gräße, Bd. I, Nr. 744; Annalen der Stadt Bautzen, um das Jahr 1556.
Im Jahre 1556 hat es sich begeben, daß ein Futterschneider
zu Budissin, der in einer der äußersten Vorstädte gewohnt, und
dessen Weib eine Schleierweberin gewesen, an der Kirmeß, den
13. September, mit seiner Gesellschaft in ein Dörschen, so eine Viertel-
meile von Budissin gelegen und Doberschau geheißen war, wo man
gut Bischoffswerder Bier schenkte, gegangen ist, um sich mit Trinken
zu belustigen, und hat sich daselbst etwas lange in die Nacht hinein
aufgehalten. Als sie nun wohlbezecht sich auf den Heimweg machen und
über einen Fußsteig nicht weit vom Gerichte des Ortes gehen müssen,
sind sie toll und voll unter den Galgen getreten und haben die
armen Sünder verspottet, was sie da machten. Einer unter ihnen
hat gar solche dürre und schwarze Brüder zu Gaste gebeten, sie
sollten mit ihm nach Hause gehen und mit etwas kaltem Gebratenen,