Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

— 222 — 
und ihr Gatte weit entfernt war, hatte sie niemanden, der sich ihrer 
angenommen hätte. Als die Unglückliche den ungerechten Spruch 
vernahm, rief sie: „ich bin unschuldig, ein Wunder wird die Wahr- 
heit meiner Worte bestätigen.“ Doch nichts half ihr ihr Beteuern, 
sie ward auf den Nabenstein geschleift, und in demselben Augen- 
bliche, wo ihr Gatte in die Mauern Bautzens eintritt, voll Freude, 
sein Weib und Kind wieder umarmen zu Bhönnen, zerbrach der 
Nachrichter ihre Glieder auf dem Richtplatze. Siehe, da spaltete sich 
auf einmal das Gemäuer des Hochgerichts in drei Teile, und als 
ihr unglücklicher Gatte sie noch einmal in schrecklich verstümmelter 
Gestalt gesehen hatte, stürzte er sich verzweifelnd in sein Schwert. 
Ihren Verderber aber ließ es keine Ruhe, er klagte sich selbst an 
und konnte den Augenblich, wo sein schuldbeladenes Haupt sein 
doppeltes Verbrechen fsühnen sollte, kaum erwarten. Das finstere 
Gewölbe des MBabensteins umschloß auch seinen Leichnam, doch seine 
Seele hatte keine Ruhe. Sobald die Dämmerung finstern Schatten 
ausbreitete, sah man fortan eine weiße Gestalt über den Rabenstein 
wandeln, bittend die Hände gen Himmel erheben und dann plötzlich 
wieder verschwinden. 
281. Wie vier Gehängte zu einem Futterschneider zu Gaste 
gebeten worden und auch gekommen sind. 
Gräße, Bd. I, Nr. 744; Annalen der Stadt Bautzen, um das Jahr 1556. 
Im Jahre 1556 hat es sich begeben, daß ein Futterschneider 
zu Budissin, der in einer der äußersten Vorstädte gewohnt, und 
dessen Weib eine Schleierweberin gewesen, an der Kirmeß, den 
13. September, mit seiner Gesellschaft in ein Dörschen, so eine Viertel- 
meile von Budissin gelegen und Doberschau geheißen war, wo man 
gut Bischoffswerder Bier schenkte, gegangen ist, um sich mit Trinken 
zu belustigen, und hat sich daselbst etwas lange in die Nacht hinein 
aufgehalten. Als sie nun wohlbezecht sich auf den Heimweg machen und 
über einen Fußsteig nicht weit vom Gerichte des Ortes gehen müssen, 
sind sie toll und voll unter den Galgen getreten und haben die 
armen Sünder verspottet, was sie da machten. Einer unter ihnen 
hat gar solche dürre und schwarze Brüder zu Gaste gebeten, sie 
sollten mit ihm nach Hause gehen und mit etwas kaltem Gebratenen,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.