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die Wege von Schödewitz, Reinsdorf und Oberhohendorf bilden;
über diesen geht mittags zwischen 12 bis 1 Uhr niemand, auch soll
denselben kein Fuhrwerk passieren. Vor einigen Jahren fand man
daselbst um diese Zeit einen umgeworfenen Wagen, aber ohne Pferd
und menschliche Begleiter, und hat sich zu demselben auch nachmals
kein Besitzer gefunden.
305. Die Weihnachtsmette der Toten zu Stollberg.
A. Schuster, Stollberg, S. 48 in Grohmann, Das Obererzgebirge in
Sage und Geschichte, 1903.
In der alten Marienkirche zu Stollberg, die auch „Toten-
kirche“ heißt, feiern die Seelen der Verstorbenen — manche sagen:
die in kKatholischer Zeit Verstorbenen — jedes Jahr in der heiligen
BNacht ihre Christmetten. So hatte sich einst eine Frau in der
Totengasse (Zwichkauerstraße) vorgenommen, in die Weihnachtsmetten
zu gehen. Vor Mitternacht schreckt sie aus einem schweren Traum
auf und denkt, es sei Zeit zur Kirche. Sie macht Licht, zieht sich
an und tritt auf die Straße. Da ist es noch ganz still. Als sie
zur Totenkirche Kommt, erblicht sie dunkle Gestalten, die dem ge-
öffneten Kirchtore zuschreiten. Verwundert darüber, daß die Metten
in dieser Kirche sein sollen, schließt sie sich ihnen an und tritt ein.
Das Gotteshaus ist matt erleuchtet. In den Frauenständen ist nur
an einer Bank noch ein Echplatz frei, den sie nun einnimmt. Am
Altar sieht sie einen Priester in seltsamer Gewandung, der in einem
großen Buche zu lesen scheint, sich verbeugt, niederkniet, alles unter
der lautlosen Aufmerksamkeit der zahlreichen Gemeinde. Sie mustert
ihre Umgebung: lauter fremde Gesichter, deren Bliche mit unheim-
licher Traurigkeit auf ihr haften. Da erkennt sie in ihrer Nach-
barin eine Frau, die vor kurzem begraben wurde. Sie will
fragen, was das alles bedeutet, aber die Gestalt winkt ihr mit
knöchernem Finger zu, daß sie schweige. Da verschwindet die ganze
Erscheinung. Zitternd und bebend vor Furcht steht die Frau auf
der Straße und bricht an ihrer Haustüre zusammen, wo sie dann
von Leuten, die in die wirklichen Metten gehen wollten, halb er-
starrt gefunden und heimgebracht wird. Nach drei Tagen trug
man sie hinaus nach dem Gottesacker (vergl. Nr. 301 und 329).