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Frau. Wer kannte nicht in seiner Heimat irgend ein Flüßchen oder
Teich, wo einst, wie die Sage erzählt, der Wassermann im roten
Käppchen und Tuchrock weilte? Wer hätte sich nicht als kleines
Kind in acht genommen vor der oder jener tiefen Stelle im Bache,
wo der Wassermann immer lauert, wie er jemanden am Fuße er-
greifen und ins Wasser ziehen könnte?
Einst aber waren die Wassermänner nicht so böse, wie sie die
Kinder kennen; sie traten auch aus dem Bache hervor und ließen
sich mit den Leuten ins Gespräch ein. Ein solcher war auch im
AReubaselitzer Teiche bei Kamenz, über dessen Größe man im Volke
erzählt, daß ihn ein Reiter im Trabe innerhalb eines Tages nicht
umreiten Kkönne. — Bei ihm acherte einst ein Kutscher. Jedesmal,
wenn er hinabfuhr, hörte er im Teiche mit Kuchenschaufeln rasseln.
Er dachte sich sogleich, daß im Teiche der Wassermann wohne und
grade Kuchen backe. Verwegen rief er deshalb in den Teich:
„Wenn ihr Kuchen bacht, so bringt mir auch einen, denn ich bin
hungrig.“ Als er herum war, lief aus dem Teiche das Wasser-
männchen in roter Tracht herzu mit einem Tischchen, auf welchem
ein herrlicher Kuchen lag und ein Glas Bier stand, und sagte zum
Kutscher: „Diesen Kuchen mußt du essen, ohne daß du ihn an-
schneidest, und das Bier mußt du austrinken, das Glas aber darfst
du nicht anrühren!“ Dies sagend, sprang er wieder in den Teich.
Der Kutscher überlegte eine Weile, wie er dies mache, und dann
machte er es so: Aus dem Kuchen schnitt er das Mittlere heraus
und aß es; darauf machte er sich ein BRöhrchen aus Schilf und
saugte durch dasselbe das Bier aus dem Glase. Dadurch hatte er
weder den Kuchen angeschnitten, noch das Glas angerührt. Als er
so fertig war, lief das Wassermännlein wieder herzu, nahm das
Tischchen und sagte zum KZutscher: „Der Teufel hat dich klug ge-
macht!“ und lief ärgerlich davon. Denn, hätte der Rutscher es nicht
vollbracht, würde ihn der Wassermann mitgenommen und ihm den
Hals umgedreht haben. (Vgl. Ar. 501.)