Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

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670. Die stummen Glocken und Pfarrer Klunge. 
Mitgeteilt von Dr. Pilk; darnach bei Meiche, Sagenbuch der Sächsischen 
Schweiz, Ar. 40. 
Pfarrer Klunge in Aeukirch, nach der Sage ein erfahrener 
Hexenmeister, dessen Macht über die Geisterwelt sehr groß war, 
hatte die Gewohnheit, oft bis tief in die Aacht hinein in der 
Sakristei der Kirche zu studieren, zum großen Leidwesen seiner dritten 
Gemahlin, welche den Gatten lieber bei sich im Pfarrhause gesehen 
hätte. Da sich Klunge durch vielfältige Bitten nicht bewegen ließ, 
von seiner Gepflogenheit abzugehen, entsann die Pfarrerin einen 
Plan, um ihm durch List den nächtlichen Aufenthalt in der Sakristei 
zu verleiden. Sie beredete einen Knecht, sich als Gespenst zu ver— 
mummen und so den Pfarrer abends zu schrecken. Der Bursche 
ging darauf ein. Er hing sich eine Ochsenhaut mit Kopf und 
Hörnern über und trat in vorgerückter Nachtstunde lautlos auf die 
Schwelle der „Dreßtammer“. Der Pfarrer wendete sich, als die 
Tür aufging, um und erblichkte die Schreckgestalt. Im Bewußtsein 
seiner Uberlegenheit beachtete er dieselbe kaum und vertiefte sich 
weiter in den Inhalt seiner Bücher. Das Phantom näherte sich 
ihm, ohne zu sprechen. Da sagte Klunge: „Bist du ein Mensch, 
so rede!“ Als aber die Gestalt standhaft schwieg, und der Pfarrer 
zum dritten Male vergeblich befahl: „Bist du ein Mensch, so rede!“ 
da zerrissen unsichtbare Gewalten den armen Vermummten augen- 
blichlich in lauter kleine Stücke. 
Der Pfarrer ging nach Hause. Von ihm erfuhr sein Weib, 
was sich zugetragen hatte. Die Frau nahm sich, weil sie die Schuld 
an dem Tode des Knechtes trug, das vorgefallene Unglück derartig 
zu Herzen, daß sie sich selber entleibte. Pfarrer Klunge verheim- 
lichte die Tatsache und ließ ihr ein Begräbnis mit allen kirchlichen 
Ehren zuteil werden. Als aber der Zug vom Trauerhause nach 
der Grabstätte sich hinbewegte, was mit Geläute begleitet zu werden 
pflegt, da gab die Glocke trotz alles Anschlagens der Klöppel 
keinen Ton. Klunge wußte, warum dies geschah. Er schritt drei- 
mal um die Kirche herum, worauf sofort alle GElocken ertönten. 
Die Verstorbene schaute dann aus einer Fensteröffnung des Turmes 
ihrer eigenen Beerdigung zu. Das Volk blickte entsetzt hinauf.
	        
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