Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

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die Pforte überschreitet. Dann stürzt alles zusammen, und der UÜbel— 
täter wird von dem Golde verschüttet, nach dem er die Hand aus— 
zustreckhen wagte. Also komm morgen wieder. Dann bringen 
hundert weiße Pferde auf kostbaren Wagen den Schatz aus diesen 
Bergen nach dem Orte, wo du dich niederlassen willst, und in 
wenigen Augenblicken wirst du ein Schloß an der gewählten Stätte 
entstehen sehen, wie es dein Herz sich wünscht. Alles ist dein, und 
ich will dir dienen mein lebelang.“ „Du mir dienen? Aein, nie— 
mals! Mein kostbarster Schatz sollst du sein; nichts will ich besitzen 
von all deinem Reichtum, nur dich. Komm, folge mir wie du bist; 
ich führe dich in mein liebes Elternhaus und mit Freuden wirst du 
von meinen hochbetagten Eltern aufgenommen; komm, mein Lieb, 
und folge mir!“ Bei den letzten Worten hatte er den Arm um 
ihre Schulter gelegt. Da ertönte vom nahen Kirchturm der Glocken— 
schlag eins. Auch aus dem Innern des Berges verkündete ein 
heller Ton die erste Stunde, dem ein dumpfer Schlag folgte. Der 
Jüngling wollte nochmals das Wort an seine Gefährtin richten, aber 
die Hand, die soeben noch den zarten Leib umschlungen gehalten 
hatte, hielt einen kleinen Vergißmeinnichtstraufß. Das war alles, 
was ihn an den Zauber der letzten Stunde erinnerte. Von den 
Zweigen aber sangen die Vögel, im Grase zirpte die Grille und in 
den mächtigen Eichen und Buchen rauschte es: „Komm morgen wieder, 
komm morgen wieder!“ 
Langsam wandte er seine Schritte heimwärts. In Sinnen 
verloren verbrachte er die Stunden, die ihm in der Erwartung des 
Kommenden viel zu langsam verstrichen; die Aacht aber wälzte er 
sich auf seinem Lager, und schwere Träume ängstigten ihn. 
Endlich nahte die gestern festgesetzte Stunde. Langsamen 
Schrittes machte er sich auf den Weg und hatte bald den westlichen 
Ausläufer des Berges und den Wiesengrund erreicht. Eine starke 
Erregung hatte sich seiner bemächtigt und tausend Gedanken schossen 
ihm blitzschnell durch den Kopf. Das Herz drohte vor Erregung 
stillzustehen. Sein Blich hing mit zweifelhaften Gefühlen an der 
Stelle, wo gestern der Ruf erschollen war, aber nichts deutete dar- 
auf hin, daß sich dort etwas Besonderes für sein Leben ereignen 
sollte; alles atmete Ruhe und Frieden. Da ertönten zwölf Glocken- 
schläge und Rkündeten die Stunde der Bestellung an. Er lauschte 
nach den Tönen; da stand wie aus der Erde gezaubert die weiße
	        
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