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durchziehenden Pilger im Christenglauben unterrichtet worden, und
der milde Strahl des bessern Lichtes hatte ihr Herz so erwärmt, daß
sie selbst ihren Eltern erklärte, sie werde sich niemals vermählen,
sondern nach deren einstigem Absterben gen Rom pilgern, sich dort
taufen lassen, und ihr Leben dem Himmel weihen. Ihren Eltern
blieb nichts übrig, als sich dem Willen ihrer geliebten Tochter zu
fügen. Sie wiesen daher alle, die um deren Hand anhielten, von
sich; nur einer, ein vornehmer böhmischer Herr, der aber ein arger
Zauberer war, sann auf Rache, wie er das Mägdlein in seine Hände
bekommen möge. Aun hatte aber Wiarda — so war ihr Aame —
von jenem Pilgrim ein silbernes Kreuz bekommen, und war ihr
von demselben gesagt worden, solange sie dieses bei sich trage,
könne sie allen Anfechtungen böser Zauberer spotten. Da begab es
sich eines Tages, daß die Jungfrau vor dem Schlosse lustwandelte
und zufällig das Kreuz zu Hause abgelegt hatte; auf einmal rauschte
ein von zwei Greifen gezogener Wagen aus der Luft herab, in
welchem jener Zauberer saß. Er sprang heraus, ergriff die lang—
ersehnte Beute und eilte mit ihr durch die Lüfte davon. Ihre
armen Eltern weinten und jammerten manches Jahr um ihr ver—
lornes Töchterlein und hatten schon alle Hoffnung aufgegeben, sie
jemals wieder zu sehen; da sprach einmal ein fremder Pilger in
ihrem Schlosse ein und gab sich als den frommen Bruder zu er—
kennen, der ihre Tochter einst im Christenglauben unterwiesen habe.
Er erzählte ihnen, ihre Tochter sei von jenem böhmischen Zauberer
in sein Schloß entführt worden, derselbe habe sie aber durchaus
nicht zu überreden vermocht, die Seinige zu werden, im Gegenteil
habe sie sich laut zum Christentum bekannt und sei schon seit einem
Jahre selig dahingeschieden. Wenn sie sie aber noch einmal sehen
wollten, möchten sie nur am nächsten Vollmondabend auf den
Kottmarberg gehen, wo sie sie wiederfinden würden. Als nun die
betrübten Eltern zur bestimmten Zeit auf dem Berge erschienen,
da sahen sie, wie sich im Felsen ein weites Tor öffnete, welches
zu einem mit tausend Lampen erleuchteten Gewölbe führte; mitten
in diesem stand ein kristallener Sarg, und in diesem lag ihre
Tochter, rosig und holdselig, wie sie im Leben ausgesehen hatte.
Sie knieten an ihrem Sarge nieder, und von nun an war es bis
an ihren erst nach langen Jahren erfolgten Tod ihre einzige Freude,
jeden Abend sich an jenem Felsentore einzufinden, welches sich auch