I. Rörper und Seele.
1. Das Geistauswandern.
Dr. Pilk, im „Sächs. Erzähler“ (Bischofswerda), Belletr. Beilage vom
18. Aug. 1894.
Im 18. Jahrhunderte lebte in Oberneukirch ein berühmter
Arzt. Dr. Weitzmann war sein Name. Weither aus Sachsen und
Böhmen kamen Leidende zu ihm und fanden Genesung unter seiner
geschickten Behandlung. Sein Sohn hatte ebenfalls den ärztlichen
Beruf erwählt und wurde später des Vaters Aachfolger. Aoch heute
erinnert an diese Familie der Name einer Häusergruppe in Ober-
neukirch, die „Weitzmannshäuser". Von dem alten Weitzmann nun
geht die Sage, daß er mehr gekonnt habe, als Brot essen. Mlan
erzählt, er hätte in verzweifelten Fällen den Geist seiner Patienten
aus dem Körper auswandern lassen, damit derselbe im Schatten-
reiche sich Kunde von dem glüchklichen oder tödlichen Ausgange der
Krankheit erholte.
So lag einst eine Wöchnerin schwerkrank, nach menschlichem
Ermessen vielleicht hoffnungslos, darnieder. Weitzmann wurde an
ihr Lager gerufen. Er erkannte sofort die Größe der Gefahr, zögerte
jedoch mit der Verordnung von Arzneien, da er sich vorher erst
versichern wollte, ob die Frau am Leben erhalten werden könnte
oder nicht. Er befahl zunächst den Angehörigen der Kranken, jed-
wedes Geräusch sorgsam zu vermeiden. Vollständige Stille mußte
in Haus und Hof einkehren. Das Bieh aus dem Stalle und selbst
der Kettenhund wurde fortgeführt, damit kein Laut die Ruhe störte.
Dann setzte sich Weitzmann an das Bett der Kranken und hieß
alle übrigen das Zimmer verlassen. Die Leidende hob jetzt an:
„Herr Doktor, muß ich denn wirklich sterben? Gibt's keine Rettung
mehr für mich?“ Der Anzt erwiderte: „Bei Gott ist kein Ding