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läßt mit seinem Hunde die Straße und eilt in den Wald hinein,
um dem Bedrängten zu helfen. Doch vergeblich ist sein Suchen.
Er findet keinen Menschen. Der Hilferuf ist verstummt. Schon
will er den Rückweg antreten, da wird sein Hund plötzlich von
einem großen Wolfshund angefallen und gebissen. Der Fleischer
hilft seinem treuen Tiere und schlägt den Angreifer in die Flucht.
Dann verbindet er die Wunde seines Hundes, und nach geraumer
Zeit kommt er wieder auf die Straße. Er meint, der Jude sei
längst in Crimmitschau und schlägt auch dorthin seinen Weg ein.
Doch kaum ist er in der Stadt angekommen, so ergreift man ihn
und wirft ihn in das Gefängnis. Man sagt ihm, der Jude sei
erschlagen und beraubt auf der Straße gefunden worden; man
weiß: „Du bist vorher mit dem Juden gegangen.“ Man sieht das
Blut an seinen Händen und Kleidern, das von den Wunden seines
Hundes stammte. Man sagt ihm in das Gesicht: „Du hast den
Juden ermordet und beraubt!“ Man führt ihn vor die blutige
Leiche. Entsetzt schaut er sie an. Vergebens beteuert er seine Un—
schuld. Man hält ihn des Mordes überführt und spricht ihm das
Todesurteil. Auf dem Wege nach dem Schafott bricht er von einer
grünen Linde drei Zweige ab und gräbt sie in die Erde. Darauf
spricht er: „Wenn diese Zweige, die nun bald mein Blut bespritzen
wird, Wurzeln schlagen und zu Bäumen emporwachsen, sollt ihr
merken, daß ich unschuldig gestorben bin; verdorren sie aber, dann
denkt, ich sei des Mordes schuldig gewesen!“ Er steigt auf das
Schafott. Unter dem Schwerte fällt sein Haupt. Sein Blut benetzt
die drei Lindenzweige. Diese aber verdorren nicht, sondern wachsen
zu Bäumen empor. Etwa zehn Jahre später kommt ein Mann
mit einer Axt des Weges daher bis zu den drei Linden. Finster
blickt er um sich und holt mit seiner Axt aus, um die Linden um—
zuhauen. Das sieht ein Bauer. Der kommt rasch auf ihn zu und
fragt ihn, was er tun wolle. Der finstere Fremde spricht: „Ich
kann diese drei Linden nicht ersehen. Sie sind Zeugen meines
Verbrechens!“ Bei diesen Worten holt er mit der Axt aus und
schlägt nach dem Bauer. Doch der Hieb geht fehl. Der kräftige
Bauer springt auf den Fremden zu, überwältigt ihn und führt ihn
— der nicht mehr widerstrebt — nach der Stadt. Man wirft ihn
in dasselbe Gefängnis, welches einst den redlichen Fleischer barg.
Vor den Richter geführt, gesteht der Fremde: Er habe vor