Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

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Im Jahre 1441 klopfte kurz nach dem Neubau des Hospitals 
zu St. Georg eines Nachts eine junge Pilgerin an die Pforte des- 
selben und bat um Aufnahme. Sie war wunderbar schön, verklärt 
in Unschuld und Liebe, Kkam aus dem gelobten Lande und führte 
den Namen der hochgelobten und benedeieten Jungfrau Maria. 
Als nun am andern Morgen das Glöcklein auf St. Johannes die 
unglücklichen Leprosen zur Andacht versammelte, erhob sich Maria 
rasch, um am St. Laurentiusaltare daselbst zu beten. Sie wieder- 
holte dann täglich ihr Gebet und entflammte durch ihre stumme 
Andacht die Herzen der Gläubigen mehr als durch laute Worte. 
Da kam endlich der Tag JFohannis des Täufers, und das Glöcklein 
rief wieder so brünstig und silberhell zum Gebete. Maria wendete 
sich zu allen Kranken und Siechen in St. Georgen und sprach in 
heiliger Begeisterung: „Im Namen Gottes sage ich euch, wer heute 
mir folgt, der wird gesunden.“ Und die Kräfte der Kranken stählten 
sich im Vertrauen zu der wunderbaren Pilgerin und sie gingen mit 
ihr zum Altare des heiligen Laurentius, und ihre Herzen flogen voll 
Andacht im Gebete der schönen Jungfrau auf zum Himmel. Da 
sie gebetet hatte, erhob sie ihr Antlitz von den Stufen des Altars, 
wandte sich zu den Aussätzigen und sprach zu ihnen: „Im Aamen 
Gottes sage ich euch, wer heute mir folgt, der wird gesunden.“ Da 
zog ihr viel Volk nach, Gesunde und Kranke, und sie ging die 
Straße gen Morgen bis auf die Höhe, von da man die Stadt 
überschaut, und Rniete nieder und betete lange. Und da sie auf- 
stand vom Gebete, siehe da sprudelte ein reiner Quell aus dem 
Boden, den ihr gebeugtes Knie berührt hatte, und alles Volk er- 
staunte, denn es war noch nie ein Quell daselbst zu finden gewesen. 
Und Maria segnete den Quell und sprach: „Solange der Quell hier 
fleußt, die Gnade sich ergeußt.“ Und alles Volk fiel nieder und betete. 
Da zog Maria aus ihrem Pilgerkleide einen Kelch, den ihr 
ein sächsischer Priester in der Kapelle des heiligen Johannes zu 
Jerusalem gegeben hatte, um ihn dem Leprosenhause seiner Bater- 
stadt Leipzig zu übergeben. Und sie füllte den Kelch mit dem Wasser 
des Quells, hob ihre Hand zum Himmel und sprach: „Im Aamen 
Gottes mag gesunden, wer heut den Weg hierher gefunden.“ Damit 
reichte sie den Kelch denen, die von einer Krankheit überwältigt 
waren. Und alles Volk trank daraus und fühlte der Gesundheit 
neue Lebenskraft mächtig durch die Adern rinnen. Und da alle
	        
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