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zubieten, so werfen sie auf den Boden ihres Korbes den glück—
bringenden Talisman. Zauberkräftig ist letzterer aber nur, wenn
er aus einer Pflanze des Valtenberges geschnitzt ist. (Vgl. Ar. 391.)
Am Johannistage mittags zrischen zwölf und ein Uhr schlüpft
wohl zuweilen eine ältere êAeukircherin an den Abhängen des Valten-
berges, namentlich am sogenannten „Ratwitzer“ und Lichtwald dahin,
um geheimnisvoll schweigend das „Wolfskraut“" zu erspähen. „Fette
Henne“ (Sedum Telephium) ist der schriftgemäße Name der gesuchten
Pflanze. Leise bückt sich die Frau und schneidet Stengel um Stengel
davon ab, bei jedem Schnitte kaum vernehmbar einen Namen
flüsternd. Es sind die Namen ihrer Lieben, für die sie je einen
Schößling heimträgt. Sorgfältig merkt sie sich die nunmehr be-
nannten Stengel und bindet dieselben, daheim angekommen, mittels
dünner Fäden an die Stubendecke, so daß die Spitze nach unten,
das Schnittende aber nach oben gerichtet ist. Dem Familiengliede
nun, dessen Stengel noch lange fortgrünt, ist ein langes Leben be-
schieden, demjenigen aber, dessen Wolfskraut bald verwelkt, ist sein
Ende nicht mehr fern.
815. Farnsamen macht unsichtbar.
Dr. Pilk im „Sächs. Erzähler“ 1893, Ar. 49, Beiblatt.
In der Johannisnacht wächst auf dem Valtenberge (und
auch auf benachbarten Höhen) ein Farnkraut, das im Gegen-
satze zu den Pflanzen seiner Art auch sichtbar blüht. Es sprießt
aus der Erde hervor, trägt Blüten und Früchte, alles in ein und
derselben Nacht. Der Samenstaub dieses Farns hat die wunderbare
Eigenschaft, den Menschen, welcher ihn bei sich führt, unsichtbar
zu machen. Einst ging ein Bewohner von Neuirch in der Fohannis-
nacht über den Valtenberg. Er streifte im Vorüberschreiten einen
solchen Farnwedel, dessen Samen herabstäubend ihm in die Schuhe
fiel. Bald darauf gelangte er aus dem Walde heraus in das
mondbeglänzte Tal, das hell fast wie am Tage dalag. Quer über
seinen Weg wandelte ein wohlbekannter Freund, der ebenfalls von
einem weiten Gange erst heimkehrte. Er reichte ihm die Hand mit
den Worten: „Guten Abend, Friedel!“ „Heiliger Gott!“ schrie der
Angeredete, „was war das?“ und eilte geschwind davon. Aäher
Meiche, Sagenbuch. 42