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16. Ein abgeschiedenes Kind klagt seinem Vater ein Leid.
Gräße, Bd. II, Ar. 633, nach Köhler, Aberglauben im Vogtlande, S. 475.
Dem Pfarrer Merz in Schöneck war ein Kind von zwei Jahren
gestorben. Vierzehn Tage darnach rief eine Kinderstimme im Pfarr—
hause des Abends nach 10 Uhr beim Schlafstubenfenster: „mein
Händchen und mein Füßchen!“ und dies einige Male. Der letzte
Ruf lautete: „Vater, mein Händchen und Füßchen fehlt mir!“ Darauf
ließ der Pfarrer Merz sein Kind wieder ausgraben und wirklich
fehlten auch diese Glieder. Es wurde nachgeforscht und der Verdacht,
den Leichnam geschändet zu haben, fiel auf eine oder mehrere Per-
sonen aus den Birkenhäusern bei Schöneck, die sich der geraubten
Gliedmaßen beim Schatzgraben hatten bedienen wollen (vergl.
Ar. 852).
17. Eine Braut spricht aus dem Grabe.
Haupt und Schmaler, Volkslieder der Wenden, J, S. 171 ff.
In Schandau lebte einst eine schöne Maid. Diese liebte ein
Bursche aus dem Lausitzer Wendenlande. Lange hatten sich die beiden
nicht gesehen. Endlich machte sich der Wendensohn auf, um die Geliebte
zu besuchen. Er ritt mit seinem Brüderlein nach Schandau, „der
neuen Stadt“. Die beiden Reiter fanden jedoch am Abend keinen
Einlaß. Aur ein altes Mütterchen kam aus der Stadt zu ihnen
heraus, hieß sie willkommen und lud sie zu Gaste. Sie wollten
aber nicht essen, bevor sie das Mädchen gesprochen hätten. Da er—
fuhren sie, daß die Geliebte gestorben und gerade heute vorm Jahre
in feierlichem Gepränge beerdigt worden sei. Aun war ihres Blei—
bens nicht länger. In tiefster Betrübnis wendete der verwaiste
Bräutigam das Roß und ritt nach dem Friedhofe hin, als schon
die Aacht hereingebrochen war. Vor dem Grabe der Unvergeßlichen
machte er Halt und rief laut schluchzend:
„Helf' dir Gott, liebliches Mägdelein!
Helf' dir Gott, Herzliebchen mein!
Sag' mir, o sag'’ mir, was das ist,
Daß du mir gestorben bist?
Brach der Gram um mich dein Herz?
Bracht' ins Grab dich eigner Schmerz?“