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geeigneten Schätze im Stich und war zufrieden, nur seine Freiheit
wiedererlangt zu haben.
2. Es begab sich einst, daß eine arme Frau auf dem Löbauer
Berge die Türe des Goldkellers gewahrte, wie sie offen stand. Die
Zeit aber, wo solches geschah, war an einem Karfreitag morgens
früh, als man eben vom Chore die Passion absang. Aeugierig und
hoffend, einen Schatz und somit ihr Glück darin zu finden, so wie
schon mancher anderer vor ihr, ging sie hinein, obschon sie einen
größern Schatz, nämlich ihr einziges Kind, auf den Armen trug.
Uberall glänzten ihr, gleich hellen Karfunkeln, die Gold-, Silber-
und Schaustüche entgegen, die in großen, mächtigen Braupfannen
links und rechts aufgehäuft dastanden. Aiemand aber und nirgend-
wo ein Wächter dieser Schätze war zu sehen, ein runder Tisch nur
stand unfern vom Eingange, und einige Apfel, so frisch, wie sie
nur zur Herbstzeit auf den fruchttragenden Bäumen prangen mögen,
lagen darauf. Auf diesen Tisch nun setzte sie das Kindlein nieder,
damit es spielen möge mit den herrlichen Früchten, sie aber scharrte
und sammelte so viel des blanken Geldes und Goldes in ihre Schürze,
als sie nur ertragen konnte und trug es fürbaß aus dem Keller
hinaus. Alsbald nun khehrte sie wieder um, daß sie auch ihr RKind-
lein sich nachholen möge, was sie versäumt hatte über dem unter-
irdischen Mammon. Aber o0 Fammer! nimmer und nirgends konnte
sie jetzt die Türe des Kellers wieder gewahren, zu der sie doch nur
eben hinausgetreten war, und weder Weinen noch Greinen, noch
Klagen und Zagen mochten ihr helfen, denn schier nicht eine ein-
zige Spur konnte sie noch wahrnehmen. Gar gern hätte sie nun
all ihre blanken Schätze, die sie gewonnen, dahingegeben für den
einzigen Schatz, den sie verloren. Und ob sie auch ihr gehabtes
Unglüch denen anzeigte, die zu Bate sitzen, so konnten sie ihr doch
nicht raten und helfen, ja alles Nachforschen und Suchen und
Graben war sonder Autzen, soviel dessen auch auf gemeiner Stadt
Kosten veranstaltet und vorgenommen werden mochte. Was aber
jene schmerzlich betrübte Mutter durch all ihre Sorgfalt und Mühe
nicht zu erlangen vermochte, das konnte Geduld und Zeit ihr ge-
währen, denn als nun endlich wieder die Zeit der Ostern herbei-
gekommen war und die Stunde, wo man vom Chore herab die
Passion absang, ging das Weib abermals hinaus, die Stelle zu
suchen, wo sie vorm Jahr so glücklich und doch so unglüchlich ge-