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lebende Wesen, das ihm bei seinem Eingange in die Burg ent—
gegenkomme, den Göttern zum Opfer bringen.
Er blieb unversehrt, und freudigen Dankes voll kehrte er aus
dem Kampfe in die Heimat zurück. Jubelnd erblickten ihn die
Seinen schon von ferne, aber seine Tochter eilte ihm freudig entgegen.
Mit Schrecken und Entsetzen sieht der Vater sein Kind nahen. Sie
ist das erste lebende Wesen, das ihm aus der Burg entgegentritt,
und mit Schauder denkt er an sein Gelübde. Tief gebeugt entdeckt
er dem geliebten Kinde seinen Kummer über die gelobte Pflicht, und
auf die Frage nach dem Verlobten hat er keine andere Antwort als
den Abschiedsgruß des gefallenen Helden und seine blutige Schärpe.
Da erfüllte Schmerz und Trauer das ganze Haus; aber der
Vater wagt nicht, sein Gelübde zu brechen. Schon ist der Opfer—
tag anberaumt, siehe, da ist nächtlicher Stunde das teure Opfer
plötzlich und spurlos verschwunden. Die blutige Schärpe des Ge—
liebten als Kleinod auf dem Herzen tragend, flieht die Tochter un—
aufhaltsam dahin durch das Dunkel der Wälder und durch verbor—
gene Gründe, bis sich ihr endlich ein liebliches Tal auftut, in dessen
Schoße zwei klare Gewässer von verschiedenen Richtungen her sich
vereinigen, umschattet von der Haselstaude schützendem Gesträuch.
Hier ruht sie aus und faßt den Entschluß unter dem Schutze ihrer
christlichen Freunde in Planschwitz sich taufen zu lassen und in
diesem Tale ein Kloster zu gründen, um da dem verklärten Gelieb-
ten Treue zu bewahren und dem Christengotte zu dienen. Sie
machte sich eilends auf, um den Plan zu verwirklichen. Um aber
die Ruhestätte auch wieder zu finden, knüpfte sie als Erkennungs-
zeichen die blutgetränkte Schärpe des teuren Geliebten an den
schützenden Haselstrauch. Die Tat gelingt. Da ihr Vater bald dar-
auf in Kummer heimgeht, gründet sie mit dem reichen Erbteil am
Göltzschbache, da, wo der Haselstrauch die Schärpe trug, ein Frauen-
kloster. Die Anwohner um dasselbe mehren sich bald, und der
ganze Anbau empfängt im Namen des Volkes zum Andenken an
die rote Schärpe den Namen „der rote Wisch", Rodewisch. Die
Klostergüter wurden nach der Reformation umgestaltet in das Ritter-
gut Obergöltzsch. — Am Dienstag nach der Kirchweih zu Rodewisch
wird dort noch immer ein rotes Tuch ausgekegelt.“
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* Die Sage könnte auch unter die romantischen Sagen gestellt werden.