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1070. Die Tellerhäuser bei Wiesenthal.
Gräße, Bd. J, Ar. 502; poetisch behandelt v. Ziehnert, S. 262 ff.
Um das Jahr 1570 lebte zu Wiesenthal ein blutarmer, aber
frommer und fleißiger Bergmann namens Teller, der bei einer
Grube beschäftigt war, die auf einmal keine Ausbeute mehr gab
und deshalb von ihrem Besitzer, einem reichen Geizhals, nicht mehr
bebaut ward. Ebenso vergebens, wie er von letzterem seinen rück—
ständigen Lohn zu bekommen gesucht hatte, sah er sich nach neuer
Arbeit um; er hatte eine kranke Frau und drei Söhne zu Hause,
allein er hatte kein Brot für sie, und so mußte er nach und nach
alles, was er besaß, verkaufen. So kam der Ostermorgen heran,
und das Letzte, was noch zu Gelde gemacht werden konnte, war
bereits weggegeben. Siehe, da zog es ihn nach der Kirche, und
als er traurig an den Eingang derselben getreten war, kam es ihm
vor, als sähe er sich im Festtagsgewande, eine Stufe glänzenden
Silbers auf der Schulter, an der Kanzel stehen. Er rieb sich die
Augen, wendete sein Gesicht ab, aber sobald er wieder auf jenen
Punkt schaute, stand auch sein Doppelgänger wieder da. Er ver—
ließ endlich die Kirche, und auf dem Wege nach seinem Hause be—
gegnete ihm ein wohlgekleideter Unbekannter, der ihm, als er, von
ihm befragt, warum er so traurig aussehe, seine Not geklagt hatte,
ein großes Silberstück schenkte. Damit kaufte er die notwendigsten
Bedürfnisse und begab sich nach Hause. Hier aber hatte er keine
Ruhe, denn überall sah er das gehabte Gesicht vor sich, und es kam
ihm vor, als ziehe ihn sein Doppelgänger nach jener eben auf—
gegebenen Grube hin. Endlich konnte er nicht mehr diesem innern
Drange widerstehen, daher kaufte er sich von dem noch übrig—
gebliebenen Gelde von dem Bergmeister die Erlaubnis, in der auf?
lässigen Grube zu bauen und fing eifrig an einzuschlagen. Allein
seine zwei Hände brachten wenig vorwärts, der Tag verfloß, und er
war auf kKein edles Mietall gestoßen; schon war auch der zweite
halb zu Ende und er machte eben Anstalt, sein letztes Stücklein
Brot zum Mittagsmahl zu sich zu nehmen, als aus einem Loche
im Gestein ein Aläuschen herauskroch und ungescheut die herunter-
gefallenen Brosamen auflas. Er ließ dasselbe ruhig gewähren, als
es aber anfing, auch sein Grubenlicht zu beknabbern, warf er sein
Fäustel nach demselben. Statt daß aber die Maus davon getroffen