Full text: Sagenbuch des Königreichs Sachsen

— 859 — 
1070. Die Tellerhäuser bei Wiesenthal. 
Gräße, Bd. J, Ar. 502; poetisch behandelt v. Ziehnert, S. 262 ff. 
Um das Jahr 1570 lebte zu Wiesenthal ein blutarmer, aber 
frommer und fleißiger Bergmann namens Teller, der bei einer 
Grube beschäftigt war, die auf einmal keine Ausbeute mehr gab 
und deshalb von ihrem Besitzer, einem reichen Geizhals, nicht mehr 
bebaut ward. Ebenso vergebens, wie er von letzterem seinen rück— 
ständigen Lohn zu bekommen gesucht hatte, sah er sich nach neuer 
Arbeit um; er hatte eine kranke Frau und drei Söhne zu Hause, 
allein er hatte kein Brot für sie, und so mußte er nach und nach 
alles, was er besaß, verkaufen. So kam der Ostermorgen heran, 
und das Letzte, was noch zu Gelde gemacht werden konnte, war 
bereits weggegeben. Siehe, da zog es ihn nach der Kirche, und 
als er traurig an den Eingang derselben getreten war, kam es ihm 
vor, als sähe er sich im Festtagsgewande, eine Stufe glänzenden 
Silbers auf der Schulter, an der Kanzel stehen. Er rieb sich die 
Augen, wendete sein Gesicht ab, aber sobald er wieder auf jenen 
Punkt schaute, stand auch sein Doppelgänger wieder da. Er ver— 
ließ endlich die Kirche, und auf dem Wege nach seinem Hause be— 
gegnete ihm ein wohlgekleideter Unbekannter, der ihm, als er, von 
ihm befragt, warum er so traurig aussehe, seine Not geklagt hatte, 
ein großes Silberstück schenkte. Damit kaufte er die notwendigsten 
Bedürfnisse und begab sich nach Hause. Hier aber hatte er keine 
Ruhe, denn überall sah er das gehabte Gesicht vor sich, und es kam 
ihm vor, als ziehe ihn sein Doppelgänger nach jener eben auf— 
gegebenen Grube hin. Endlich konnte er nicht mehr diesem innern 
Drange widerstehen, daher kaufte er sich von dem noch übrig— 
gebliebenen Gelde von dem Bergmeister die Erlaubnis, in der auf? 
lässigen Grube zu bauen und fing eifrig an einzuschlagen. Allein 
seine zwei Hände brachten wenig vorwärts, der Tag verfloß, und er 
war auf kKein edles Mietall gestoßen; schon war auch der zweite 
halb zu Ende und er machte eben Anstalt, sein letztes Stücklein 
Brot zum Mittagsmahl zu sich zu nehmen, als aus einem Loche 
im Gestein ein Aläuschen herauskroch und ungescheut die herunter- 
gefallenen Brosamen auflas. Er ließ dasselbe ruhig gewähren, als 
es aber anfing, auch sein Grubenlicht zu beknabbern, warf er sein 
Fäustel nach demselben. Statt daß aber die Maus davon getroffen
	        
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