Egelhaaf: Der Dreibund
Gortschakow, eine Deutschland unfreundliche Haltung
an, der auch Zar Alexander II. selbst nicht ganz fremd
war. Im Sommer 1876 trat auch der alte Gegen-
satz Rußlands zu Osterreich auf dem Balkan mit neuer
Stärke hervor. Der Zar ließ von seinem Sommer-
sitz Livadia in der Krim aus Bismarck sondieren, ob
Deutschland im Fall eines russischen Angriffs auf
Osterreich neutral bleiben werde oder nicht. Bismarck
suchte zunächst auszuweichen, entsandte aber auf das
Drängen des Zaren den deutschen Botschafter am
russischen Hof, General v. Schweinitz, nach der Krim,
um dem Zaren mitzuteilen, daß Deutschland vor allem
den Fortbestand der Freundschaft Osterreichs und
Rußlands wünsche, daß es gegebenenfalls auch er-
tragen könne, daß sie gegeneinander Schlachten ge-
wönnen und verlören, nicht aber, daß eine der beiden
Mächte so verwundet würde, daß sie aufhören würde,
eine unabhängige und in Europa mitredende Groß-
macht zu sein. Das hieß, daß wir ebensowenig Ocster-
reichs als Rußlands Vernichtung mit unseren Lebens-
interessen vereinbar fänden. Dem Zaren behagte diese
Antwort, wie seine Stimmung war, wenig; er suchte
jetzt mit Osterreich, da er nicht hoffen durfte, es zu
Boden zu schlagen, eine direkte Verständigung und
schloß am 15. Januar 1877 einen geheimen Vertrag
mit Kaiser Franz Joseph ab, kraft dasfen Rußland freie
Hand erhielt, in dem damals wütenden Aufstand der
Bosnier, der Herzegowiner und der Bulgaren gegen
Sultan Abdul Hamid einzugreifen und sich des Haupt-
einflusses im Osten des Balkans zu bemächtigen; da-
für ward Osterreich die Erwerbung Bosniens und
der vorwaltende Einfluß im Westen der Halbinsel zu-
gesichert.
Auf Grund dieses Abkommens erklärte der Zar am
24. April 1877 dem Sultan den Krieg und zwang ihn
nach sehr wechselvollen Kämpfen am 3. März 1878
zu dem Frieden von San Stefano, durch den das
türkische Reich in Europa fast vernichtet und ein Groß-
bulgarien von der Donau bis Salonikierrichtet wurde.
Da dieser neue Staat zunächst nichts anderes als ein
russischer Vasallenstaat zu sein schien, wurde die Vor-
macht Rußlands auf dem Balkan voraussichtlich über-
gewaltig und damit der Ortent überhaupt von ihm
gänzlich abhängig. Diesen Zustand wollte England
nicht hinnehmen, und auch Osterreich sah sich in seinen
wichtigsten Interessen bedroht, wenn die Donau-
mündungen in Rußlands Hand gerieten. Ein neuer,
für Rußfand sehr gefährlicher Krieg drohte auszu-
brechen. In dieser Lage übernahm Bismarck auf Ruß-
lands Wunsch die Vermittlung. In Berlin trat am
13. Juni 1878 ein Kongreß der Großmächte zusammen,
der in seiner Schlußakte vom 13. Juli zwar die recht-
liche oder tatsächliche Befreiung Serbiens, Rumäniens
und Bulgariens vom türkischen Joch aufrechterhielt,
Bulgarien aber in wesentlich engere Grenzen verwies,
es zu einem Tribut an den Sultan verpflichtete und
Ostrumelien mit Philippopel als besondere autonome,
türkische Provinz einrichtete. Österreich--Ungarn aber
empfing von Europa den Auftrag, Bosnien und die
Herzegowina, wo der Sultan die Ordnung nicht her-
zustellen vermochte, zu besetzen, zu befrieden und zu
verwalten, dem Namen nach als Teile der ottomani-
schen Monarchie, tatsächlich als österreichisch-unga-
rische Landschaften. Es vollzog diesen Auftrag im
August und September 1878.
it diesem Ausgang der Dinge waren Italien und
Rußland 5 unzufrieden. Italien sah mit Miß-
dehagen, daß Österreich-Ungarn, dem es gern seine
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italienischen Gebiete — Welschtirol mit Trient, Görz,
Gradiska, das Küstenland und Triest— abgenommen
hätte, sich eine starke Stellung im Osten des Adriati-
schen Meeres am Balkan schuß auf dem es bisher nur
Kroatien und Dalmatien ohne ein Hinterland besessen
hatte. Der Traum der Italiener, der von den eiten
der venezianischen Seeherrschaft herrührte, daß die
Adria mare nostro, unser Meer-, werden sollte,
war vor der rauhen Wirklichkeit zerstoben. Rußland
aber grollte, daß ihm ein großer Teil der schon unter
Dachgeglaubten Früchte seines Sieges über die Türken
wieder entrissen worden war, und das bald sichtbar
werdende Streben der Bulgaren, nicht bloß den Herrn
zu wechseln, sondern ein in Wahrheit unabhängiges
Staatswesen zu bilden, ließ auch den Wert des Er-
reichten fraglich werden; Osterreich-Ungarn dagegen
hatte einen wirklichen Erwerb gemacht. Daraus ent-
wickelte sich in St. Petersburg eine gereizte Stimmung,
und statt sich zu sagen, daß man fetest den Bogen in
San Stefano allzusehr überspannt und mehr begehrt
hatte, als man gegen Englandhatte behaupten können,
klagte man Deutschland an, daß es, undankbar für die
1866 und 1870 Preußen gegenüber eingenommene
Haltung, der russischen Politik nicht die gebührende
Unterstützung gewährt und ihre Niederlage verursacht
babe ls sich bei der Feststellung der Grenzen Bosniens
zw. der Herzegowina und Serbiens zwischen den
russischen und österreichischen Bevollmächtigten Mei-
nungsverschiedenheiten erhoben und Deutschland aus
sachlichen Gründen mehrfach den Österreichern beitrat,
schrieb Zar Alexander II. im August 1879 an seinen
Oheim, Kaiser Wilhelm I., einen Brief, der an zwei
Stellen die Drohung enthielt, wenn Deutschland an
seiner Weigerung festhalte, seine Stimme ein für alle-
mal im Sinne Küßlands abzugeben, so könne der
Friede zwischen ihm und Rußland nicht dauern. Dieser
Brief stellte das Deutsche Reich offenbar vor die Wahl,
sichentweder zum willen- und würdelosen Schleppträger
Rußlands in allen orientalischen Fragen herzugeben
oder sich eines Angriffs zu verseßen- An sichneigte Bis-
marck, wie er in seinen Gedanken und Erinnerungen
(Kapitel 29) ausführt, mehr zu einem Bündnis mit
Rußland als mit Osterreich, da wir zu Rußland weder
religiöse noch politische Gegensätze hätten, sein Herr-
scherhaus mit dem preußischen altbefreundet und ver-
schwägert sei, auch der monarchische Erhaltungstrieb
bei ihm ebenso stark wirke als bei Preußen. Da aber
dieser Bund zur Zeit durch das Gebaren der Russen
unmöglich geworden war, so entschied sich Bismarck
für das Zusammengehen mit Osterreich, obwohl er die
aselbst vorhandenen antideutschen oder doch unzuver-
lässigen Elemente klar erkannte. Stärker waren doch
die Gründe, welche hüben wie drüben auf den Zu-
sammenschluß hindrängten, und ohne daß er beab-
sichtigt hätte, für die Vertretung österreichischer
Interessen im Balkan und im Orient deutsches Gut
und Blut herzuleihen-, sah er doch „die Erhaltung
der österreichisch- ungarischen Monarchie als einer un-
abhängigen starken Großmacht für Deutschland als ein
Bedürfnis des Gleichgewichts in Europa an, für das
der Friede des Landes bei eintretender Notwendigkeit
mit gutem Gewissen eingese twerden könnec. Da auch
der österreichisch-ungarische Minister des Auswärtigen,
Graf Andrässy, angesichts des für Österreich-Ungarn
dußerst bedrohlichen Verhaltens der Russen von der
Notwendigkeit des Zusammenschlusses mit Deutschland
durchdrungen war, 37 in Gastein am 27. und 28.
August 1879 eine Zusammenkunft beider Staats-
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