Die Universitäten. 143
Weitem meisten der Zöglinge nach der Universität weder Zeit, noch Ge-
legenheit mehr zu eigenen Forschungen. Was sie hier lernen, wenden sie
für sich und für ihre Mitmenschen an, und es sind also die Erfolge durch den
Inhalt dieser Studien bedingt. Hier ist nun freilich die schwierige Frage
zu entscheiden, ob es den wirklichen Verhältnissen des I,ebens mehr ent-
spricht, die Lehre in Methode und Inlalt nach dem mittleren Durchschnitte
der geistigen Befähigung und Anstrengung sowie des praktischen Anwen-
dungsbedürfnisses zu berechnen, oder sie unbekümmert um mögliche Miss-
verständnisse und um später nicht zur Auwendung kommendes Wissen in
der vollen Höhe der Wissenschaft zu halten, die Mehrheit an und für sich
und ihrer selbst wegen vorzutragen? Dass auch die erstere Behandlungs-
weise ihre guten Folgen hat, und in Betreff des Inhaltes des Vorgetragenen
vereinbar ist mit einer Benützung des höchsten Standes der Wissenschaft,
ist nicht zu läugnen; dennoch scheint es die richtigere Auffassung zu sein,
wenn das Bestmögliche geleistet, die zum Verständnisse und dem künftigen
praktischen Bedürfnisse eines jeden Einzelnen passende Auswahl und Her-
abstimmung aber ihm selbst überlassen bleibt. Nur auf diose Weise wird
die Bildung des ganzen Volkes auf die höchste erreichbare Stufe, durch die
dazu geeigneten \enigeren oder Mehreren gehoben; und überdiess ist es
bei der unendlichen Verschiedenheit der Individualitäten und der wenigstens
manchfach abweichenden Art ihrer Lebenszwocke besser, Jedem die Aneig-
nung des für ibn Passenden zu überlassen, als Alle unter Ein gleiches gei-
stiges Niveau zu stellen. Der Lehrgabe und dem Takte des Lehrers kann
mit Vertrauen die Vermeidung des allzu Abstrakten, der blossen gelelhrten
Liebhabereien und der noch unfertigen Untersuchungen unterlassen bleiben.
Eine nächste hieraus sich ergebende Folgerung ist die Forderung voller
Lehrfreiheit. Diese bedarf aber zu ihrer vollständigen Verwirklichung
einer Ausführung nach zwei Seiten hin. — Einmal ist nur da eine höchste
Leistung möglich, wo der Meister des Faches lehren kann, was er will und
wie er cs will; denn bloss unter dieser Bedingung kommt seine wahre
Auffassung der Sache und die ganze Bedeutung seiner Individualität zu
Tage und zur Wirksamkeit. Der Staat und zunäshst die Universität darf
also von dem einzelnen Lehrer wohl die Unterweisung in übernommenem
Fache verlangen, nicht aber bestimmte Lehren, Beweise und Ergebnisse.
Diese sind seinem wissenschaftlichen Gewissen überlassen. Unzweifelhaft
hat cine solche Freiheit auch ihre Schattenseiten; sie kann zu Unzweck-
mässigkeiten führen und selbst absichtlich missbraucht werden. Allein im
grossen Ganzen ist diess, wie auch die Erfahrung beweist, von ernsten
Männern der Wissenschaft nicht zu besorgen; auch ist der durch falsche
Sätze angerichtete Schaden in der Regel weniger gross, weil sie von ziem-
lich urtheilsfähigen und zur Kritik mehr als genügend hingeneigten Zu-