Die Universitäten. 147
Die Lernfreibeit ist allerdings durch das immer weiter um sich
greifende Prüfungswesen nach einer Richtung hin beschränkt, in der Haupt-
sache aber doch erhalten, vielleicht über das richtige Maass hinaus gestattet.
Aber man würde andererseits doch absichtlich die Augen verschliessen
müssen, wenn man nicht anerkennen wollte, dass eine genauere Kenntnisse
der thatsächlichen Zustände und eine unbefangene Würdigung derselben,
in mancher bedeutender Beziehung Lücken, verfehlte Einrichtungen, Unzu-
träglichkeiten nachweist. Es wäre thörichte Selbstverblendung nicht zu
gestehen, dass Einiges nicht mehr so ist, wie es war, Anderes noch nicht
so ist, wie es sein sollte, Drittes in alter Unvollkommenheit gelassen wurde;
dieses Alles aber tlıeils durch die Schuld der Universitäten selbst oder der
sie überwachenden und leitenden Regierungen, theils veranlasst durch
äussere Verhältnisse, an welchen Jene keinen Antheil haben.
Unläugbar nehmen die Universitäten nicht mehr ganz diejenige Stelle
unter den Culturelementen ein, welche sie früher hatten. Abgesehen
davon, dass die Literatur zahlreiche und zum Theile meisterhafte Be-
lehrungsmittel liefert, welche ein Selbststudium sehr erleichtern im Ver-
gleiche mit älterer Zeit; feruer abgesehen davon, dass Bildungs-Reisen jetzt
sehr erleichtert sind und also auch weit mehr unternommen werden: treten
noch einige weitere Umstände ein. Zunächst hat bekanntlich das Aufblühen
der Industrie und die Anlage der grossen und künstlichen Verkehrswege
eine grosse Veränderung in den Lebensbestimmungen der höheren und der
wohlhabenden Stände erzeugt. Tausende von jungen Männern werden
(was freilich in anderen Beziehungen selır zweckmässig und wohlthätig sein
mag) durch diese früher unbekannten und übordiess weit lolinenderen Berufe
dem gelehrten Studium entzogen. Für sie sind die Universitäten von gar
keiner unmittelbaren Bedeutung, und zwar diess um so weniger, als eigene
Lehranstalten für sie gegründet worden sind. Die Universitäten haben
dadurch unzweifelhaft geringeren Werth für die Nation. Es ist eine neue,
wennschon von der Universitätsbildung verschiedene allein doch ebenfalls
höhere Bildung entstanden; die Universitäten besitzen also nicht mehr das
Monopol ‚der Civilisation and Befähigung zu bedeutenden Leistungen und
ehrenvollen Stellungen. Sodann werden immer mebr in den Hauptstädten,
auch wenn dieselben keine Sitze von Universitäten sind, grosse und .glän-
zende Massen von materiellen Bildungsmitteln aller Art angehäuft, als da
sind: Sammlungen von literarischen und von Kunst-Schätzen, Hospitäler und
sonstige Krankenanstalten, botanische Gärten, chemische, physikalische und
astronomische Apparate u. s. w. Alles dieses ist entweder auf den Uni-
versitäten gar nicht oder in geringerem Grade vorbanden, und doch ist
seine Benützung Bedingung vollständiger höherer Bildung. So ist es denn
‚gekommen, dass für einzelne Klassen des Gelehrtenstandes, namentlich für die
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