Full text: Staatsrecht, Völkerrecht und Politik. Dritter Band. (3)

4. 
Die Erziehung des weiblichen Geschlechts. 
Es unterliegt wohl keinem Streite, dass die Erziehung des weiblichen 
Geschlechts auch in den gesittigsten Ländern zu jeder Zeit Manches zu 
wünschen übrig gelassen hat, und dass namentlich auch die Thätigkeit und 
Sorge des Staates in Beziehung auf sie zurückgeblieben ist hinter den 
Leistungen in Betreff der Bildung der männlichen Jugend. Diess ist dann 
aber ebenso grundsatzlos und ungerecht, als thöricht und schädlich. Das 
Erstere aus dem einfachen Grunde, weil die eine Hälfte des Menschen- 
geschlechtes ebenso gut Fähigkeiten besitzt, welche entwickelt werden 
können, als die andere Hälfte, und ein ebenso gutes Recht auf Förderung 
dieser von der Natur gegebenen Kräfte; unklug aber, weil eine vernach- 
lässigte Ausbildung des weiblichen Geschlechtes cine ungenügende Erfüllung 
derjenigen Aufgaben, welche ihm durch die Weltordnung und durch die 
gesellschaftlichen Einrichtungen zu Theil werden, zur nothwendigen Folge 
haben muss, die engherzige Selbstsucht der Männer sich also selbst und 
zwar sehr empfindlich straft am eigenen Glücke und Wohlergehen!). — 
1) Wir rähmen uns gerne unserer christlichen und germanischen Gesittigung, welcher 
die bessere Bebandiung und Bildung des welbilichen Geschlechtes zu verdanken sei; und man 
wiederholt gerne den Satz, dass die Barbareli eines Volkes und Zeltalters sich vor Allem In 
der Unterdrückung der Weiber zeige. Hieran ist nuu freilich etwas Wahres. Bel uns Ist das 
Weib weder der elfernüchtig gehütete und als seelenioses Wesen In ticfer Unwissenheit ge- 
halteno Gegenstand der sinnlichen Beglierden des Mannes, wie Im Orlente, noch eiu Lastthler, 
wie bei den Wilden allor Weittheile. Allein os Ist doch pbarisälsche Selbstgenfigsamkeit bei 
dieser Zufriedenheit. Nicht etwa desshalb, weil wir bis Itst das ganze öffentliche Leben uud 
dio melsten selbstständigen Boschäftigungen und Erwerbesweige den Männern vorbehalten 
baben, — hierin fulgt man, wie welter unten besprochen werden soll, nur der Natur der Dinge, — 
sondern weil wir dcr allgemeinen und der besondern Ausbildung des Welbes keineswegs Ihr 
volles Recht angedeihen lussen und Forderungen in dieser Beriehnng als übertrieben und 
unerfüllbar betrachten, weiche auch nicht entfernt mit denen zu vergleichen sind, weiche als 
Rnnz scibstverständlich für die Männer gelten und längst erfüllt sind. Selbst in Deutschland 
ist doch schliesslich nur der unterste Grad von Bildungsanstalten für die weibliche Jugend 
leidiich ausreichend bestellt, während die höheren Stufen von dem Staate vernachlässigt und 
oft genug schlecht geordnet sind; noch mehr ist diess aber bei den romanischen Völkern der 
Fall, ia weichen ein öffentlicher Unterricht für Mädchen zum Theile fast ganz fehlt oder 
doch wenigstens, wie in Frankreich, orst In deu Anfängen begriffen ist. Wie kann man z.B.
	        
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