Full text: Staatsrecht, Völkerrecht und Politik. Dritter Band. (3)

338 Ueber eine gesammtdeutsche Akademie 
Von den drei bedeutenderen Akademien ist ohne Zweifel die Wiener 
die am grossartigsten angelegto und ausgestattete, und es wäre eine Un- 
gerechtigkeit, wenn man ihr eine lebhafte wissenschaftliche Tbätigkeit wäh- 
rend ibres noch kurzen Bestandes abstreiten wollte. Allein zu der Be- 
friedigung des hier in Frage stehenden Bedürfnisses ist sie nicht bestimmt 
und nicht fähig. Sie ist keine deutsche, sondern eine wesentlich öster- 
reichische Anstalt; vielleicht in Folge der Bildungsverbältnisse und ihres 
Sitzes von vorwiegend d ichischem Charakter; allein nimmer- 
mehr rein- oder gar gemeindentsch. Schon die Nationalität ihrer Mitglieder 
beweist es; ihr wirklicher Vorsitzender selbst ist kein Deutscher. Ihre 
Arbeiten sind auf Oesterreich gerichtet; diess ist ihr ausgesprocbener Zweck. 
Daher denn auch ihr Einfluss in Deutschland gleich Null ist. Die zum 
Theile vortrefflichen Arbeiten ihrer Mitglieder werden natürlich von unsern 
Gelehrten geschätzt und benützt; aber nicht anders als die Abhandlungen 
jeder fremden Akademie. Im deutschen Volke hat sie nicht den mindesten 
Einfluss, ist von ihm kaum gekannt. Diess aber ist natürlich genug. Die 
unselige Jesuitenpolitik, welche Ocsterreich Jahrhunderte lang von dem 
deutschen Geistesleben absperrte, hat die nothwendige Folge baben müssen, 
dass man dem Lande auch anderer Seits fremd wurde. Ein solches Ver- 
hältniss lässt sich aber kaum in Generationen ändern. Hierzu kommt 
aber noch die itzige politische Gestaltung der Dinge. Oesterreich hat 
im Jahre 1866 aus Deutschland ausscheiden müssen; es ist seitdem ein 
fremder Staat, seine Anstalten sind die eines auswärtigen Beiches und 
keine deutsch-nationalen. Von der Schaffung einer gemein-deutschen Aka- 
demie der Wissenschaften mittelst der Wiener Anstalt kann also schon aus 
diesem äusseren Grunde itzt keine Rede sein. Allein, mag man ein- 
wenden. diess sind nur vorübergehende, durchaus unfertige Zustände; es 
muss, 08 wird sich wieder anders gestalten. Zugegeben. In ihrer itzigen 
Lage können die deutschen Angelegenheiten allerdings auf die Dauer nicht 
bleiben. Allein welcher menschliche Scharfsion ist vermessen genug, die 
schliessliche Ordnung voraussagen zu wollen? Wird wieder ein deutscher 
Bund entstehen, dessen Mitglied Oosterreich wäre? Oder wird der bittere 
Streit des bunten Nationalitäten-Gemisches unter sich selbst zu einer völligen 
Zersetzung der habsburgischen Monarchie führen? Kann etwa Oesterreich 
in einem glücklichen Anlaufe und unterstützt von fremder Hülfe Preussen 
vollständig niederwerfen, Deutschland so oder so in seine alleinige Bot- 
mässigkeit bringen, oder ist es umgekehrt Preussen beschieden, diese Stel- 
lung in dem noch nicht herangezogenen Deutschland, vielleicht in den 
deutschen Proyinzeu Oesterreichs selbst, zu erwerben? Wird Oesterreich 
die Suprematie über Süddeutschland erlangen, wie sie Preussen nördlich 
des Maines hat? Oder bildet sich ein selbstständiger Südbund neben der 
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