Full text: Staatsrecht, Völkerrecht und Politik. Dritter Band. (3)

502 Volksfeste. 
an die Versammelten, einen guten Einfluss gerade auf die unteren Klassen 
ausüben wird. Wenn eine Rede dem Zwecke und der Beweisführung 
nach wohl überlegt, in der Form einfach und von verständigem Maasse der 
Ausdehnung ist, auch keine höheren Kenntnisse voraussetzt, so ist sie 
auch für jene zahlreichste Gattung von Zuhörern ‘verständlich und nach 
Form und Inhalt für dieselbe bildend, während diese durch unverstän- 
dige, leidenschaftliche und unpraktische Declamationen nur verdammt und 
irre geleitet werden kann. Sicherlich ein mächtiger Grund weiter zur 
Einsicht und Festigkeit in dieser Beziehung. Zweitens aber ist unzweifel- 
haft, dass für die fragliche Schichte der Bevölkerung Gesangfeste am pas- 
sendsten sind. Musik ist die einzige Kunst, welche im Bereiche der grossen 
Menge liegt, und Beschäftigung mit ihr ist entschieden bildend für sie, 
theils durch den Genuss selbst, theils durch die Abziehung von rohen Er- 
holungen. Grössere Vereinigungen der Örtlichen Gesangvereine aber stei- 
gern das künstlerische Verständniss und geben einen höheren Maassstab 
für die Leistungen. Ein Missbrauch ist, wenn der Zweck nicht absichtlich 
aus den Augen gesetzt wird, kaum denkbar. Diese Art von Festen ist denn 
also auch vorzugsweise gerne zu sehen und zu begünstigen. 
In Beziehung auf den höheren Bürgerstand verhält sich die Sache 
folgendermaassen. — Derselbe nimmt an den kleineren Festen verhältnis- 
mässig nur wenigen Antheil, ist dagegen bei den grossen in bedeutender 
Anzahl vertreten. Der durch die längere Dauer derselben, durch die Reise- 
kosten und überhaupt entstehendo grössere Aufwand kann von ilım leichter 
getragen werden; auch sprechen ihn die hier verfolgten Ziele mehr an 
als einfache Liederfeste, Fahnenweihen u. dgl., oder auch als kirchliche 
Feierlichkeiten. Seine Stellung zu der Sache ist eine wesentlich verschie- 
dene von der der niedereren Schichten der Gesellschaft. Er verhält sich zu 
den Zwecken der Feste nicht bloss receptiv, sondern er will mitbestimmend 
und selbstthätig dabei auftreten, und es ist ihm dabei auch fast ausschliess- 
lich um politische und nationale Absichten zu thun, wenn schon auch das 
Vergnügen eine Rolle spielen und namentlich der Besuch einer fremden 
grossen Stadt Anziehungskraft ausüben mag. Bei der bedeutenden poli- 
tischen Stellung, welche diese Einwohnerklasse trotz ihrer manchfachen 
Schwächen in unseren constitutionellen Staaten hat, indem namentlich die 
Wahlen zu den Ständeversammlungen zum bedeutenden Theile in ihre 
Hände gelegt sind, ist aber der Finfluss, welchen die Feste auf ihn haben 
und welchen er auf die Feste ausübt, keineswegs gleichgültig. 
Leider kann, wie sich die Volksfeste bis jetzt gestaltet haben, dieser 
wechselseitige Einfluss, wenigstens soweit von eigentlicher Politik die Rede 
ist, kaum als ein günstiger bezeichnet werden. Einer Seits sind bei den- 
selben die specifischen Eigenschaften, welche den höheren Bürgerstand kenn-
	        
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