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an die Versammelten, einen guten Einfluss gerade auf die unteren Klassen
ausüben wird. Wenn eine Rede dem Zwecke und der Beweisführung
nach wohl überlegt, in der Form einfach und von verständigem Maasse der
Ausdehnung ist, auch keine höheren Kenntnisse voraussetzt, so ist sie
auch für jene zahlreichste Gattung von Zuhörern ‘verständlich und nach
Form und Inhalt für dieselbe bildend, während diese durch unverstän-
dige, leidenschaftliche und unpraktische Declamationen nur verdammt und
irre geleitet werden kann. Sicherlich ein mächtiger Grund weiter zur
Einsicht und Festigkeit in dieser Beziehung. Zweitens aber ist unzweifel-
haft, dass für die fragliche Schichte der Bevölkerung Gesangfeste am pas-
sendsten sind. Musik ist die einzige Kunst, welche im Bereiche der grossen
Menge liegt, und Beschäftigung mit ihr ist entschieden bildend für sie,
theils durch den Genuss selbst, theils durch die Abziehung von rohen Er-
holungen. Grössere Vereinigungen der Örtlichen Gesangvereine aber stei-
gern das künstlerische Verständniss und geben einen höheren Maassstab
für die Leistungen. Ein Missbrauch ist, wenn der Zweck nicht absichtlich
aus den Augen gesetzt wird, kaum denkbar. Diese Art von Festen ist denn
also auch vorzugsweise gerne zu sehen und zu begünstigen.
In Beziehung auf den höheren Bürgerstand verhält sich die Sache
folgendermaassen. — Derselbe nimmt an den kleineren Festen verhältnis-
mässig nur wenigen Antheil, ist dagegen bei den grossen in bedeutender
Anzahl vertreten. Der durch die längere Dauer derselben, durch die Reise-
kosten und überhaupt entstehendo grössere Aufwand kann von ilım leichter
getragen werden; auch sprechen ihn die hier verfolgten Ziele mehr an
als einfache Liederfeste, Fahnenweihen u. dgl., oder auch als kirchliche
Feierlichkeiten. Seine Stellung zu der Sache ist eine wesentlich verschie-
dene von der der niedereren Schichten der Gesellschaft. Er verhält sich zu
den Zwecken der Feste nicht bloss receptiv, sondern er will mitbestimmend
und selbstthätig dabei auftreten, und es ist ihm dabei auch fast ausschliess-
lich um politische und nationale Absichten zu thun, wenn schon auch das
Vergnügen eine Rolle spielen und namentlich der Besuch einer fremden
grossen Stadt Anziehungskraft ausüben mag. Bei der bedeutenden poli-
tischen Stellung, welche diese Einwohnerklasse trotz ihrer manchfachen
Schwächen in unseren constitutionellen Staaten hat, indem namentlich die
Wahlen zu den Ständeversammlungen zum bedeutenden Theile in ihre
Hände gelegt sind, ist aber der Finfluss, welchen die Feste auf ihn haben
und welchen er auf die Feste ausübt, keineswegs gleichgültig.
Leider kann, wie sich die Volksfeste bis jetzt gestaltet haben, dieser
wechselseitige Einfluss, wenigstens soweit von eigentlicher Politik die Rede
ist, kaum als ein günstiger bezeichnet werden. Einer Seits sind bei den-
selben die specifischen Eigenschaften, welche den höheren Bürgerstand kenn-