Full text: Staatsrecht, Völkerrecht und Politik. Dritter Band. (3)

Die verbesserten Verkehrseinrichtungen. 633 
und Gedanken in alte und junge Köpfe; das Interesse für Kunst und Natur 
ist geweckt und wirkt im Stillen fort; das ganze Dasein, namentlich auch 
vieler Frauen, wird reicher, belebter und glücklicher. Welche bedeutende 
Umwandlungen unserer ganzen gesellschaftlichen Verhältnisse durch dieses 
leichte und also massenhafte Reisen aller Stände erlitten haben, tritt aın 
deutlichsten hervor, wenn wir unsere Zustände in dieser Beziehung mit 
denen in anderen Zeitabschnitten vergleichen. Es soll nicht einmal vom 
Mittelalter Jie Rede sein, wo es kaum dann und wann einem abenteuer- 
lustigen Gesellen einfallen konnte, zu seinem Vergnügen in die Welt 
hinauszuziehen, wo Unterkunft für Ross und Reiter zu finden oft genug 
unmöglich war, wo hinter jedem Strauche eine Gefahr lauerte. Allein wenn 
wir auch nur die Zeiten unserer Väter oder der Aelteren von uns selbst 
ins Auge fassen, wie gross ist der Unterschied! Eine Reise in die 
Schweiz oder an den Rhein war damals der oft unerfüllte Wunsch eines 
ganzen Lebens; von eineın Besuche I,ondons oder Roms konnte nur für 
besonders vom Glücke Begünstigte die Rede sein, und es war wohl die ganze 
Familie stolz auf eine solche Auszeichnung. Fast mag es uns wehe thun, 
wenn wir in den Lebensbeschreibungen unserer berühmten Männer die 
Schwierigkeiten und Seltenheiten ihrer Ortsveränderungen kennen lernen, 
wenn wir sehen, in welche enge räumliche Kreise, also auch in welche 
beschränktere Kreise von Anschauungen, Gedanken und Menschenkenut- 
nissen, sie gebannt waren. Mit Staunen und Bedauern machen wir uns 
klar, wie wenig sie doch von der Welt selbst gesehen haben, welche sie uns 
mit mehr Intuition als eigener Kenntniss, eher auf mikroskopische Unter- 
suchungen gestützt als auf grossartige Uebersichten geistig öffneten. Wirimüssen 
uns fragen, wie vieles Weitere und Andere sie wohl geleistet hätten, wenn 
sie so leicht, wie wir itzt, unter Menschen und Dingen sich hätten bewegen 
können? Der in jenen Zeiten in fremde Länder Gelienden waren so 
Wenige, somit die zu Hause Gebliebenen in so übergrosser Mehrheit, dass 
eine gedruckte Beschreibung einer Reise in ferne und unbekannte Gegen- 
den, wie das Berner Oberland, Venedig und selbst Paris waren, nicht nur 
nicht lächerlich erschien, sondern selbst ein Bedürfniss erfüllte. Noclı 
stehen ja in den Bibliotheken die Reisebeschreibungen von Meiners, von 
Nicolai, von Mayer, von Campe, von Archenholz. Damit soll nicht gesagt 
sein, dass die itzige Generation tüchtiger oder auch nur gelehrter durch 
ihre häufigen Reisen geworden sei, als die früheren waren; aber unzwei- 
felhaft ist sie allgemein gebildeter und hat sie einen weiteren und freieren 
Blick in die menschlichen Verhältnisse. Sie ist mehr auf der Erde und 
unter den verschiedenen Arten von Bewohnern derselben zu Hause; und es 
ist gar wohl möglich, dass künftige Kulturbistoriker als charakteristisch für
	        
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