716 Allgemeines Wahlrecht.
staatlichen Fragen zu; sie ernennt in der Regel auf ganz kurze Zeit die
nötliigen Organe für die Vorberathung und vorläufige Beschlussfassung, so
wie für die Ausführung: hier ist es also nur folgerichtig, dass auch bei
allen Ernennungen zu Öffentlichen Aemtern jeder Bürger seinen Willen in
Betreff seiner Stellvertreter abgiebt. Eine andere Einrichtung würde viel-
leicht bessere Wahlen geben, allein sie wäre mit dem Grundgedanken des
ganzen staatlichen Zusammenlebens so unvereinbar, dass sie nur als ein
Widersinn und als ein allgemeines Unrecht erscheinen könnte. Wenn daher
aus einer zwar gut gemeinten aber hier nicht anwendbaren Staatskluglıeit
solche beschränkende Wahlrechte je eingeführt worden sind, se werden sie
erfahrungsgemäss über kurz oder lang beseitigt und die Gesammtbeit nıacht
ihr Recht wieder geltend. Dass die aus einem solchen allgemeinen Wabl-
rechte sich ergebeuden practischen Folgen alle schr erfreulich seien, wird
Niemand behaupten wollen angesichts der Zustände in solchen Demokraticen,
namentlich wenn es sich von grossen Staaten und deren verwickelten Inter-
essen handelt: allein dem ist nicht abzuhelfen. Eine Aenderung kann nur
durch Aufgabe des Grundgedankeng bewerkstelligt werden; so lange man
an diesem festhält, muss man auch die Folgerungen tragen und seinen
Trost in dem Bewusstsein der Herrenlosigkeit und der Abwesenheit von allen
Bevorrechtungen finden. — Wie dem nun aber sein mag, jeden Falles ist
das allgemeine Stimmrecht in einer Demokratie etwas specifisch Verschie-
denes von der itzt mitten in die deutschen monarchischen Institutionen
hineingesetzten Maassregel.
Allerdings ist sodann allgemeines Wahlrecht im französischen Kaiser-
reiche eingeführt; allein auch hier ist der leitende Gedanke ein wesentlich
verschiedener, überdiess die Ausübung durch eine ganze Reihe von Gesetzen
und Einrichtungen, von welchen in Deutschland keine Rede ist, in ganz
bestimnito Gränzen gebannt. In Frankreich bandelt es sich davon, ein durch
einen Staatsstreich gegründetes und durch eine allgemeine Abstimmung gut-
geheissenes Cäisarentlıum, welches sich mit Beiseitsetzung der höheren und
mittleren Bevölkerungs- und Bildungsschichten auf die demokratischen In-
stincte der grossen Masse stützt, in beständiger wenigstens scheinbarer Ver-
bindung nit dieser letzteren zu erhalten, diese dadurch zufrieden zu stellen.
Die allgemeine Abstimmung ist weit mehr ein Kriegsmittel gegen natürliche
Feinde als eine zur Betheiligung an den Staatsanstalten bestimmte Institution ;
dafür aber, dass sie nicht etwa gegen die Absicht doch eine solche werde,
ist durch die Vollgewalt des Staatsoberhauptes, durch die geringen Rechte
der aus der Wohl hervorgelienden Versammlung, durch die vollständige
Ausschliessung des Wahlrechtes bei der Besetzung aller andern wichtigen
Acmter, namentlich aber durch die grosse Beschränkung der Presse, des
Vereins- und Versammlungsrechtes, durch die Fernhaltung der Geistlichkeit