Allgemeines Wahlrecht. 717
von aller Politik genügend gesorgt. Es bedarf nur eines Blickes auf diese
letzteren Zustände um sich zu überzeugen, dass nicht entfernt ein wirklicher
unmittelbarer Einfluss der gesammten Bürger auf die Regierung des Landes
beabsichtigt ist, sondern im Gegentheile unter dem Scheine eines solchen die
Fernbaltung einer wirklichen öffentlichen Meinung. Dazu kommt denn aber
noch, dass alle Vorkehrungen getroffen sind, um selbst die Ausübung dieses
Scheines von Recht nur nach dem Willen des Staatsoberhauptes vor sich
gehen zu lassen. Vorbereitungen und Bewegungen der Gegner oder auch
nur Unabhängiger sind auf das Aeusserste beschränkt; wer irgend im Dienste
des Staates ist, muss für die Regierung stimmen und wirken bei Gefahr
sugenblicklicher Entfernung; die Regierung stellt in jedem Wahlbezirke
einen bestimmten Candidaten auf und verlangt dessen Ernennung. — Einer
solchen Einrichtung mag, wir wollen diess nicht bestreiten, unter den ge-
gebenen Umständen das Lob entschiedener Zweckmässigkeit und Wirksam-
keit nicht zu versagen sein; es mag auch dalıin gestellt bleiben, ob dieselbe
nicht wirklich lange ihre Dienste zu leisten vermag: allein darüber kann in der
That ein vernünftiger Zweifel nicht bestehen, dass das französische allge-
meine Wahlrecht sehr wenig Aehnliches mit dem deutschen hat, (etwa eine
geheime gleichartige Abneigung gegen die Mittelklasse abgerechnet,) und
dass sie namentlich vollkommen verschiedene Folgen haben muss. Politisch
lassen sie sich kauın vergleichen, und es ist wieder einmal auffallend richtig,
dass non est idem si duo faciunt idem.
Endlich soll auch nicht geläugnet werden, dass schon bisher in mehreren
deutschen Staaten, namentlich in Preussen und in Bayern, fast eben so weit
gehende Wahlrechte bestanden; allein der mächtige Unterschied besteht
darin, dass in dieser Ausdehnung nur das Recht zur Theilnalımne an den
Urwahlen gegeben ist, die Ernennung der Ständemitglieder selbst jedoch
durch die hier bezeichneten Wahlmänner geschieht. Damit ist denn aber
dem grössten Theile der Folgen die Spitze abgebrochen, wird die Sache
eine ganz verschiedene. Das System mehrfacher Wahlgrade mag seine
übeln Seiten haben und jeden Falles beruht es schliesslich auch auf dem
falschen Gedanken einer natürlichen Berechtigung jedes Individuums zu
einem Antheile an den Staatsangelegenheiten, — es kann diess hier nicht
weiter besprochen werden; — allein so viel ist unläugbar, dass cs mehrere
sehr bedeutende Eigenschaften besitzt, welche dem allgemeinen directen
Wahlrechte abgehen. Zunächst kennt der Urwähler Denjenigen, welohem
er seine Stimme geben will und soll, persönlich, oder kann sich doch augen-
blicklich über ihn genau unterrichten, während von den vielen Tausenden
von Wählern bei einer directen allgemeinen Wahl in der unendlichen Mehr-
zahl der Fälle die \Wenigsten auch nur den Namen der Candidaten gehört
haben, sie somit ganz im Blinden tappen oder einer, sehr leicht zu miss-