718 Allgemeines Wahlrecht.
brauchenden, Leitung ausgesetzt sind. Es ist (bezeichnende Beispiele haben
dieses bei den süddeutschen Zollparlamentswahlen gezeigt) gar wohl möglich,
unter sulcheu Umständen Männer durchzubringen, welche vor einem kleineren
und in der Einsicht auch nur um eine Stufe höher stehenden Wahlcollegium
sich gar nicht hätte zeigen dürfen. Sodann kann bei allgemeinen Wahlen,
namentlich wenn grosse Wahlbezirke gebildet sind, (z.B. auf 100,000 Seelen
je cine Wahl) keine vorgängige persönliche Besprechung und Verständigung
der Wähler stattfinden, alle Vorbereitung, Beurtheilung der aufzustellenden
Candidaten u. s. w. fällt selbsternannten Partheiführern oder den eben so
wenig dazu berufenen Zeitungsschreibern in die Hand; während in engeren
und zusammengefassten Kreisen eine Erörterung über die verschiedenen
möglichen oder sich anbietenden Persönlichkeiten möglich ist, auch ein bisher
noch unbekannter und von keiner Coterie begünstigter Bewerber sich zeigen
kann. Endlich und hauptsächlich ist durch die Uebertragung der wirklichen
Ernennungen an Wahlmänner der Grundsatz anerkannt, dass zur Ausübung
einer Öffentlichen Function nicht die blose menschliche Existenz genüge,
sondern auch entsprechende Eigenschaften nöthig seien, und es ist dadurch
auch die aus dem directen allgemeinen Wahlrechte sich ergebende logische
Nothwendigkeit einer gleichen Beiziehung aller einem geographischen oder
gcsellschaftlichen Kreise Angehörigen zur unmittelbaren Entscheidung über
die Organe desselben beseitigt. Die ganze Einrichtung ist keine durch und
durch rationelle, allein es sind lange nicht alle ursprünglich in ihr liegenden
Folgen zugelassen.
Von all’ diesem ist nun aber bei dem allgemeinen Wahlrechte im nord-
deutschen Bunde und im Zollvereine nicht die Rede. Die Einführung war
so wenig eine äussere Nothwendigkeit, dass sie im Gegentheile allgemein
überraschte und von der grossen Mehrzahl mehr mit Furcht über die Folgen
ala mit Freude entgegengenommen wurde. Ebenso wenig war sie durch
eine innere Folgerichtigkeit herbeigeführt. In den beiden Fällen ihrer An-
wendung handelt es sich von einem föderativen Verhältnisse; dass auch in
einem solchen die dem Volke eingeräumnte Mitwirkung grundsätzlich auf
die Theilnahme eines jeden einzelnen Individuums gegründet werden müsse,
lässt sich wohl in keiner Weise zeigen. Wenn es eine grosse und seit lange
geforderte Verbesserung war, in den über den einzelnen Staaten stehenden
Gewalten nicht die Regierungen allein, sondern auch die Regierten vertreten
zu sehen: so war die Botheiligung dieser letzteren unstreitig auf verschie-
dene Weise und mit allgemeiner Zufriedenstellung möglich. Es sei hier
z. B. nur an Delegationen aus den Ständeversammlungen erinnert. Niemand
kann läugnen, Niemand hat jemals geläugnet, - dass die Massregel ein frei-
willig gemachter politischer Schachzug war, und es kann nur davon die
Bede sein, zu beurtheilen ob derselbe genügend motivirt war, zu prüfen,