Full text: Preußisches Verwaltungsrecht.

§ 22. Wegerecht. 355 
Recht des gewerbetreibenden Anliegers an, daß seine Schaufenster von allen 
Seiten der Straße aus gesehen werden können. Irgendwelche gesetzlichen 
Bestimmungen, denen die Begrenzung der Rechte und Pflichten des Straßen- 
eigentümers gegenüber den Straßenanliegern entnommen werden könnte, gibt 
es nicht. Es muß auf die beiderseitigen wirtschaftlichen Beziehungen und 
Bedürfnisse zurückgegangen werden, wobei nicht außer acht gelassen werden 
darf, daß nach dem allgemeinen Grundsatze von der Freiheit des Eigentums 
die Auslegung des stillschweigenden Willens sich im wesentlichen im Sinne der 
Einengung des grunddienstbarkeitsähnlichen Rechts der Amlieger zu bewegen 
hat. Von diesem Grundsatz ausgehend, hat das Reichsgericht in zahlreichen auf 
Grund des rheinisch-französischen und des preußischen Rechts gefällten Ent- 
scheidungen den Inhalt des Straßenanliegerrechts bestimmt. Danach hut der 
Anlieger weder ein Recht darauf, daß die freie Entwickelung des Straßen- 
verkehrs nicht gehemmt werde, noch darauf, daß seine Ladenfenster von allen 
Seiten sichtbar sind, sondern er hat nur darauf ein Recht, daß ihm durch 
nachträgliche Anderungen der Straße der Zugang zu dieser und der Verkehr 
mit dem an sie sich anschließenden Straßennetze nicht dauernd wesentlich 
erschwert wird, - 
— vgl. die Zusammenstellung der reichsgerichtl. Rechtsprechung von 
Lvebell in Gruchots Beitr. Bd. 41 S. 33—41 und die neueren Ur- 
teile des Reichsgerichts in den Entsch des RG. in Zivils. Bd. 44 
r 282f. Bd. 56 S. 101 und in der Jurist. Wochenschr. 1901 S. 144 
r. 16, — 
sowie darauf, daß ihm Luft und Licht durch Bauten vor seinem Grundstücke 
nicht dauernd entzogen werden. 
Vgl. Gruchots Beitr. Bd. 44 S. 970. 
Auf das Fortbestehen weiterer Vorteile, die ihm aus dem Bestehen 
der Straße erwachsen, hat er keinen Anspruch (Loebell a. a. O. S. 37—39). 
Die Straßeneigentümerin kann z. B. die Straße unmittelbar neben seinem 
Hause zur Sackgasse machen, ohne daß er dies hindern oder auch nur Ent- 
schädigungsansprüche geltend machen kann, « 
vgl. Entsch. des RG. in Zivils. Bd. 56 S. 101, 
sofern ihm nur der Zugang zur Straße und dem sich anschließenden Straßen- 
netze im übrigen verbleibt. In den meisten zur Entscheidung des Reichs- 
gerichts gekommenen Fällen fühlten die Anlieger sich durch ÄAnderungen be- 
schwert, die zu Straßenzwecken vorgenommen worden waren; es ist aber 
niemals der Grundsatz aufgestellt worden, daß dem Straßeneigentümer die 
Ausnutzung der Straße zu anderen, wenn auch rein privatwirtschaftlichen, 
Zwecken völlig, also auch dann untersagt sei, wenn dadurch den Anliegern die 
Ausübung ihres Rechts nur unwesen'lich erschwert werde. Das konnte auch 
nicht ausgesprochen werden; denn für den Inhalt des grunddienstbarkeitähn- 
lichen Rechts ist es ohne Einfluß, zu welchem Zwecke ÄAnderungen an oder auf 
der Straße vorgenommen werden. Daher kann auch ununtersucht bleiben, 
ob in Großstädten die Benutzung zur Aufstellung von Erfrischungszelten 
nicht auch einen Zweck der Straße bildet. . 
Int vorliegenden Falle ist dem Kläger weder Luft und Licht entzogen, 
noch ist ein Verkehrshemmnis vor seinem Hause geschaffen. Er kann 
nach wie vor die Straße und das anliegende Straßennetz vor seinem Hause 
erreichen und kann auch an dem Nachbarhause, vor dem das Bierzelt er- 
richtet ist, vorbeigehen, da der Bürgersteg zwischen dem Zelte und dem Hause 
noch in einer Breite von 4,50 Meter dem Verkehr freibleibt. Der Umstand, 
daß die Gäste und Kellner zwischen dem Zelte und Hause hin und her gehen, 
bildet jedenfalls kein wesentliches Erschwernis.“ 
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