Full text: Preußisches Verwaltungsrecht.

§ 23. Einfluß des Krieges auf das Verwaltungsrecht. 377 
ist, zeigt es sich, daß dem beteiligten Festungskommandanten die hier fragliche 
Befugnis in dem oben gekennzeichneten Umfang zustehen muß. Wollte man sich 
nicht zu dieser Auffassung bekennen und dem Begriffe der „vollziehenden 
Gewalt“ engere Grenzen ziehen, so würde man Gefahr laufen, die Ausführung 
von Gesetzen nach Art des Höchstpreisgesetzes unter Umständen gerade dann 
lahmzulegen, wenn sie durch die tatsächlichen Verhältnisse der Kriegslage 
gebieterisch gefordert wird. . .“ 6 
Die gesamte „vollziehende Gewalt“ ist dem Militärbefehlshaber 
übertragen. Eine Einschränkung ergibt sich jedoch nach dem Wort- 
laut des §5 Abs. 1 des Gesetzes, wo es heißt: 
„Wird bei Erklärung des Belagerungszustandes für erforderlich erachtet, 
die Artikel 5, 6, 7, 27, 28, 29, 30 und 36 der Verfassungsurkunder) oder ein- 
zelne derselben zeit= und distriktweise außer Kraft zu setzen, so müssen die 
Bestimmungen darüber ausdrücklich in die Bekanntmachung über die Er- 
klärung des Belagerungszustandes aufgenommen oder in einer besonderen, 
unter der nämlichen Form (8 3) bekannt zu machenden Verordnung ver- 
kündet werden.“ 
Hiernach ist ein Eingriff in die durch die genannten Bestim- 
mungen besonders geschützten Rechtsgüter nur dann zulässig, wenn 
der sog. verschärfte Belagerungszustand nach Maßgabe des 8§ 3 
des Gesetzes erklärt worden ist. Dies ist jedoch im Jahre 1914 nicht 
geschehen und auch späterhin nicht erfolgt. Die Praxis hilft darüber 
hinweg, indem sie z. B. Einschränkungen des Vereinsrechtes für zu- 
lässig erklärt, weil das Recht zur Außerkraftsetzung der in §5 des 
Gesetzes erwähnten Bestimmungen vom Kaiser auf die Militär- 
befehlshaber stillschweigend übertragen worden sei. Das RG. in 
JW. 45 S. 855 führt hierzu aus: 
„Zwar trifft es zu, daß das durch § 5 a. a. O. (d. h. des Belag.-Gesetzes) 
gewährte Recht zunächst demjenigen zusteht, der nach dem Gesetz den Be- 
lagerungs-(Kriegs-)zustand erklären kann, mithin gemäß Art. 68 N. dem 
Kaiser. Es ist jedoch kein Grund ersichtlich, weshalb diese Zuständigkeit 
eine ausschließliche und eine Übertragung seitens des ursprünglichen Trägers 
der Befugnis auf die kommandierenden Generäle unzulässig sein sollte. 
Weder der Wortlaut des Gesetzes noch dessen Zweck stehen entgegen, viel- 
mehr spricht letzterer für die gegenteilige Annahme, da eine Außerkraft- 
setzung der fraglichen Bestimmungen zur Zeit der Erklärung des Kriegs- 
zustandes entbehrlich, später aber infolge veränderter Verhältnisse, namentlich 
„distriktweise“, sofort und unmittelbar erforderlich sein kann, dann aber die 
Herbeiführung der kaiserlichen Anordnung, wenn überhaupt, nur unter mög- 
licherweise verhängnisvoller, Verzögerung zu verwirklichen wäre. Auch die 
Natur und der Inhalt des in Rede stehenden Rechts ergeben nichts, was 
begrifflich mit einer Übertragbarkeit unvereinbar wäre, so daß der erkennende 
1) Die Artikel betreffen die per sönliche Freiheit (Art. 5), die Unverletzlich- 
keit der Wohnung, Briefe und Papiere (Art. 6), das Verbot der Ausnahmegerichte 
(Art. 7), das Recht der freien Meinungsäußerung und das Verbot der Zensur (Art. 27/8). 
das Vereins= und Versammlungsrecht (Art. 29/30), die Verwendbarkeit der bewaff- 
neten Macht zur Unterdrückung innerer Unruhen und zur Ausführung der Gesetze 
nur in den vom Gesetz bestimmten Fällen und Formen und auf Reaquisition der Zivil- 
behörden (Art. 36).
	        
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