§ 23. Einfluß des Krieges auf das Verwaltungsrecht. 385
genereller Natur (allgemeine Verordnungen, Bekanntmachungen)
oder spezieller Natur (Verfügungen) sein. Sie sind aber nur dann
rechtsgültig, wenn sie „im Interesse der öffentlichen Sicher-
heit“ ergangen sind. Meist nehmen die Verordnungen auf §9b B.
ausdrücklich Bezug oder verweisen darauf hin, daß sie „im Interesse
der öffentlichen Sicherheit“ ergangen sind. Fehlt ein diesbezügliches
Zitat oder der Hinweis, so sind derartige Verordnungen trotzdem gültig.
Für die Frage, ob ein nach §9b BB. zu bestrafendes Verbot vor-
liegt, oder ob sich die Verordnung auf 84 BB. stützt und nach der
bestehenden Sonderstrafnorm zu bestrafen ist (z. B. nach § 365 St G.,
dem Vereinszollgesetz v. 1. Juli 1869), ist zu prüfen, ob sich aus dem
Inhalt der Anordnung erkennen läßt, daß sie bestimmt, der öffentlichen
Sicherheit zu dienen, oder ob eine lediglich in Ausübung allgemeiner
polizeilicher Befugnisse im Interesse der öffentlichen Ordnung und
allgemeinen Wohlfahrt ergangene Verwaltungsmaßnahme vorliegt
(R. in Strafs. 49 S. 256 und Menner in JW. 45 S. 86 sowie dort
zitierte Judikatur). Der Begriff der „öffentlichen Sicherheit" um-
faßt aber nicht nur die militärische Sicherheit, sondern auch die
Sicherheit der Staats= oder Reichsangehörigen vor Gefahren jeder
Art (vgl. Bayer. OLG. in JW. 45 S. 283).
Vgl. insbesondere RG. in Straff. 49 S. 91:
„Daß die öffentliche Sicherheit sich nur auf die militärische und politische
Sicherheit bezieht, ist unzutreffend. Sie hat in §S90 BBG. — ebenso wie in
den §8 2 und 16 daselbst — die allgemein gebräuchliche Bedeutung einer
Sicherung des Publikums vor Gefahren und Beunruhigungen jeder Art.
Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß ein Verbot, welches, in Friedenszeiten
erlassen, lediglich andere Zwecke verfolgen würde, in Kriegszeiten ohne
weiteres auch den Zweck eines Schutzes der öffentlichen Sicherheit in sich birgt.“
drohten Tatbestände zu untersuchen, ob das Strafgesetzbuch seine strafrechtlichen Folgen
einheitlich und erschöpfend regeln will, und diese Frage wäre für den vorliegend
allein in Betracht kommenden Tatbestand der ersten Tatbestandsform des §9b B3G.
— Übertretung vom Militärbefehlshaber für die Dauer des Belagerungszustandes im
Interesse der öffentlichen Sicherheit erlassener Verbote — zweifellos zu verneinen,
da das Strafgesetzbuch in § 366 Nr. 2—10 und in § 361 Nr. 6 nur vereinzelte und
systemlose Vorschriften über die Bestrafung sicherheitspolizeilicher Anordnungen gibt.
Es bedarf aber auch dieser Untersuchung nicht, da §9 BBG. nur gewisse während
eines Ausnahmezustandes verübte Handlungen mit Strafe bedroht und sich
somit als eine „besondere“ Vorschrift darstellt. Aus §2 EGStGB. kann also seine
Aufhebung überhaupt nicht hergeleitet werden. Eine Sondervorschrift, die sich mit den
Wirkungen der Erklärung des Kriegszustandes beschäftigt, enthält lediglich § 4 EGStGB.
Danach sind bis zum Erlasse der in den Art. 61 und 68 Reichsverf. vorbehaltenen
Reichsgesetze mit dem Tode zu bestrafen die in den 88 81, 88, 90. 307, 311, 312, 315,
322—32.1 SteB. mit lebenslänglichem Zuchthaus bedrohten Verbrechen, wenn sie
in einem in Kriegszustand erklärten Teile des Bundesgebietes oder auf dem Kriegs-
schauplatze begangen werden. Insoweit sind also entgegenstehende Vorschriften
früherer Strafgesetze, auch wenn sie in einem Sondergesetze enthalten sind, auf-
gehoben. Aber eine allgemeine Aubhebung der früheren reichs= oder landesrechtlichen
Vorschriften über die Bestrafung während des Kriegszustandes begangener Delikte
ist hier nicht ausgesprochen und die besonderen in § #9 B8G. mit Strafe bedrohten
Tatbestände, namentlich der zuerst in §9b erwähnte, werden nicht berührt.“
Mohn, Verwaltungsrecht. (Praktischer Tell.) · 25